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MP3-Erfinder Karlheinz Brandenburg: „Vielleicht fehlte es deutschen Firmen an Phantasie“

Nach dem Wort „Sex“ gehört „mp3“ heute zu den am häufigsten in Internet-Suchmaschinen eingegebenen Wörtern. Seit Einführung dieses Musikformats, mit dem eine ursprüngliche Audiodatei um das Zwölffache komprimiert werden kann, hat keine andere Technologie die Musikbranche so sehr revolutioniert wie mp3. Prof. Dr.-Ing. Karlheinz Brandenburg (50) gilt als „Vater des mp3“ und hat die heutige Technologie entscheidend mitentwickelt.

Brandenburg studierte an der Universität Erlangen Elektrotechnik und Mathematik, ehe er 1989 mit dem Thema „Ein Beitrag zu den Verfahren und der Qualitätsbeurteilung für hochwertige Musikcodierung“ promovierte. Seine Arbeiten sind Grundlage des MPEG Layer-3 (MP3), des MPEG-2 Advanced Audio Coding (AAC) und vieler anderer moderner Verfahren der Audiocodierung und machten ihn weltberühmt. Prof. Brandenburg ist heute Direktor des 2000 gegründeten Fraunhofer Instituts für Digitale Medientechnologie in Ilmenau. Noch im selben Jahr wurde ihm zusammen mit zwei weiteren Kollegen der Deutsche Zukunftspreis des Bundespräsidenten verliehen. Ich hatte am 16.3.05 die Gelegenheit mit ihm persönlich über seine damalige Entdeckung sowie die Zukunft der Musikindustrie zu sprechen.

Herr Prof. Brandenburg, Sie gelten als Erfinder des mp3. Wie sind Sie damals auf die Idee gekommen ein Verfahren zur Komprimierung von Audiodateien zu entwickeln? War das Ihre Idee, waren Sie dadurch ein Querdenker?

Die Idee an sich ist nicht von mir, sondern die meines Doktorvaters Prof. Dieter Seitzer. Er hatte sich Mitte der Siebziger Jahre lange vor Kommerzialisierung der ISDN-Technologie mit eben dieser beschäftigt. Er wollte nachweisen, nicht nur Sprache, sondern auch Musik über das Telefon zu übertragen. Das Patentamt hatte damals gesagt, dass dies nach damaligem Stand der Technik nicht möglich sei (lacht), und so suchte Prof. Seitzer nach einem Doktoranden, um dem entgegenzuwirken. Dieser Doktorand war ich.
Man muss fairerweise sagen, dass ich ja nicht der einzige bin, der an dieser Idee oder Technologie gearbeitet hat, es gab parallel weitere Forschergruppen, die auf diesem Gebiet tätig waren.

Aber Sie waren der erste, der es erfolgreich vorgemacht hatte…

Richtig. Durch meine intensive Mitarbeit am Standard MPEG 1 Audio Layer 3, später mit mp3 bezeichnet, ist es uns erstmalig gelungen eine Variante eines jetzt schon ziemlich alten Standards zur komprimierten Speicherung und Übertragung von Musik zu entwickeln, die eine zwölffache Verminderung des ursprünglichen Datenvolumens ohne hörbaren Qualitätsverlust bewirkt.

Wem haben Sie als erstes von Ihrer Entdeckung erzählt? Wie würden Sie die Entwicklung seitdem beschreiben?

Natürlich habe ich als erstes meinem Doktorvater davon erzählt. 1982 habe ich mit meiner Dissertation angefangen, doch es ging schleppend voran, denn den echten Durchbruch von technischer Seite würde ich erst mit Mitte Februar 1986 betiteln, bis hin zur Standardisierungsphase von 1988 bis 1992. 1994 wurde das mp3-Format – das es namentlich seit 1995 gibt – erstmals auf einem PC genutzt.

Was war das erste Lied, dass Sie mit der neuen Technologie komprimiert haben? Wie groß war die ursprüngliche Datei, wie groß das Resultat?

So direkt kann man das nicht sagen. Es waren ja mehrere Liedsequenzen zu je 20 Sekunden im wav-Format, die wir damals in ein komprimiertes Audioformat umgewandelt haben. In der Presse wird allerdings gerne Suzan Vegas Lied „Tom’s Diner“ zitiert, das sicherlich zu einem der ersten komprimierten Stücke gehört. Solch eine ursprüngliche Sequenz von 20 Sekunden war bereits mehrere Megabytes groß. Die Resultatgröße kann man sich ja ausrechnen. Ich habe damals Stunden für die Komprimierung gebraucht!

Haben Sie damals, als Sie die Technologie entwickelt haben, je über die Dimensionen nachgedacht, die die mp3-Technologie heute erreicht hat?

Das ist eine mir gern gestellte Frage. Ich würde sagen: gegen Ende der Achziger Jahre, ja. Ich erinnere mich noch an von mir handgeschriebene Notizen, dass diese Technologie „mal was werden könnte“. Ich hatte damals gesagt, dass meine Dissertation entweder wie so viele in irgend einer Bibliothek verstauben oder aber von einigen Millionen Menschen genutzt wird. Das zweite war der Fall, doch dass es heute mehrere hundert Millionen Nutzer werden würden, hatten weder meine Kollegen noch ich sich je vorstellen können.

Gab es Firmen, an die Sie bzw. Firmen, sie an Sie herangetreten sind?

Naja, wir hatten damals schon versucht, unsere neue Technologie auf den Markt zu bringen. Damals wurden wir allerdings noch müde belächelt bzw. nicht mal ernst genommen. (schmunzelt) Um es mal so zu sagen: vielleicht fehlte es den Firmen an Phantasie?

… in Deutschland gab es bestenfalls ein paar Schlagzeilen, 1997 in den USA haben Sie bei einer Präsentation in Silicon Valley dagegen erheblich mehr Aufsehen erregt. Woran liegt diese unterschiedliche Wahrnehmung beider Länder?

Damals und auch heute noch wurde die allgemeine Ansicht vertreten, dass wenn etwas Neues entwickelt wird, es aus den USA kommen müsse. Tatsächlich war man zu der Zeit aber in Europa und speziell Deutschland im Video- und Audiobereich den Amerikanern voraus – das hat sich heute geändert. Um auf Ihre Frage zurückzukommen, ist es vielleicht so, dass die Tatsache, etwas Neues tun zu wollen, scheinbar im Charakter des Amerikaners verankert zu sein scheint. Und sein wir mal ehrlich: hätte ein Amerikaner unsere Technologie präsentiert, hätte die Welt sofort aufgeblickt, bei ein paar deutschen Wissenschaftlern hätte es normalerweise bestenfalls gute Tipps zur Verbesserung gegeben. Dieser Sonderstatus wird den Amerikanern stets haften bleiben. Wir hatten das Glück, dass wir gesehen wurden.

Welche Rechte halten Sie auf den Namen „mp3“ bzw. auf die Technologie „mp3“?

Nun, auf den Namen „mp3“ halten weder ich noch die Fraunhofer Gesellschaft Rechte. So gibt es z.B. das Portal mp3.com, mit dem wir nichts zu tun haben. Allerdings gibt es natürlich an der mp3-Technologie sehr wohl Patentrechte, die bei der Fraunhofer Gesellschaft und z.B. auch bei der Firma Thomson, die die Lizensierungsangelegenheiten für uns regelt, liegen.

Ihre Idee war doch eigentlich non-kommerziell. Ärgert Sie das manchmal, wenn Sie sehen wie manche Firmen viel Geld mit mp3 verdienen? Oder sind Sie eher bescheiden ob der Tatsache, dass mit Ihnen alles angefangen hat?

(Zögert) Offen gestanden bin ich wesentlich besser gestellt als viele meiner amerikanischen und deutschen Kollegen, die auf diesem Gebiet arbeiten. Hierzulande gibt es ja das sogenannte Arbeitnehmerfindergesetz, mit dem der Erfinder einer Technologie bei Patentierung und Nutzung einen Teil abbekommt. Somit kann ich mich finanziell nicht beklagen. Mich ärgert es aber, dass deutsche Firmen damals einfach zu lange gezögert haben, um die Technologie effektiv zu vermarkten. Apple etwa war schneller und hat es mit seinem iPort bestens vorgemacht.

Napster hat damals die komplette Musikindustrie auf den Kopf gestellt. Haben Sie den Entwickler Shawn Fenning je kennengelernt? Wie beurteilen Sie die Situation heute, ist die Industrie vor Piraterie sicherer geworden?

Nein, Shawn Fenning habe ich nie persönlich kennengelernt, wohl aber den Macher von mp3.com oder Winamp. Die mp3-Industrie ist heute immer noch nicht sicher, aber zumindest sicherer als vor drei Jahren. Und ich bin guter Dinge, dass sich das in den nächsten Jahren weiterentwickeln wird.

Sie haben dem Downloadportal Apple iTunes auf dem Dance Music Award 2005 in Hannover den Siegerpreis übergeben und die Laudatio gehalten. Warum ist das Portal besser als andere? Hatten Sie Einfluss auf die Entscheidung?

Auf die Entscheidung hatte ich keinen Einfluss. Wenn Sie so wollen, habe ich den Umschlag mit dem Namen des Gewinners bekommen und den Preis an Apple iTunes übergeben. Daher kann und will ich nicht pauschal sagen, wer besser oder wer schlechter ist. Aber: Apple waren die ersten, die es richtig gemacht haben. Was uns allgemein noch fehlt, sind Verknüpfungen und weitere Standardisierungen.

Was halten Sie von Open Source Netzwerken? Werden wir künftig auch in den Genuß von kostenfreien Lösungen kommen oder wird es heißen „willst du mp3, dann zahle“?

Kostenfreie und legale Lösungen gibt es ja bereits, siehe mp3.com, ebenso gilt das für Zwischenlösungen wie das „Potatoe System“, das in dieselbe Richtung geht und auf Provisionsbasis läuft. Die mp3 Dateien sind dabei ungeschützt.

Sie hatten Angebote aus den Staaten. Warum sind Sie dennoch in Deutschland geblieben? Was bedeutet das Prädikat „Made in Germany“ für Sie, das im Falle der mp3-Technologie ja entschieden zutrifft? Sind Sie stolz, dass in der heutigen Zeit auch mal wieder was aus Deutschland kommt?

Ich warne vor zuviel Nationalismus. Ich sehe mich in erster Linie als Europäer, als Weltbürger. Es stimmt, ich hatte Angebote aus den USA. Es war aber jedesmal so, dass ich ein besseres Angebot aus Deutschland hatte. Ob 1993 am Fraunhofer Institut in Erlangen oder 2000 an der TU Ilmenau. Das Angebot, im selben Jahr Direktor eines eigenen Fraunhofer Instituts in Ilmenau zu werden, ist mehr als ein Argument gewesen hier zu bleiben. Nicht zu vergessen die Bedürfnisse der eigenen Familie. Für den Standort Deutschland und die Wirtschaft ist solch eine Erfindung jedoch wichtig, das muss man auch berücksichtigen.

Wenn Sie die Entwicklung der letzten Jahrzehnte betrachten: Schallplatte, CD, MD, DVD, mp3 – was kommt danach?

Die Zukunft liegt in den Verknüpfungen, die ich eingangs erwähnte. Der Konsument kann heute nicht bloß Musik-CD’s kaufen, sondern Musik-DVD’s, die nicht nur Musik, sondern eine ganze Menge mehr wie Videosequenzen und dergleichen enthalten. Diesem Medium gehört die Zukunft. Im Onlinebereich sehe ich die Entwicklung dahingehend, dass die Möglichkeiten mp3 zu nutzen soweit ausgebaut werden, dass ich, sobald ich einen Titel im Radio höre, einfach auf einen Link klicke und mir den Titel gegen Entgeld herunterladen kann.

… woran arbeiten Sie gerade persönlich?

Ich persönlich bin mit Arbeiten beschäftigt, die herkömmliche 2-Kanalton-Ausgabe, also Stereo, von mp3’s in eine 5-Kanalton-Ausgabe umzuwandeln und somit weitaus mehr Zusatzinformationen mit einzubauen.
Seit September 2003 werden die Fraunhofer-Raumklangsysteme unter dem Namen IO-SONO vermarktet. Solche IOSONO-Geräte werden sich Ende diesen Jahres die etwas betuchteren unter uns leisten können, der Preis ist für den Normalbürger noch zu hoch. Für diese Geräte sehe ich eine Zukunft. Das alles hat aber nichts mit Internet zu tun, sondern mit der Optimierung der Natürlichkeit der Klangwiedergabe. Bis sich solche Geräte etabliert haben und ausgereift sind, können aber noch gute 10 bis 15 Jahre vergehen.

Herr Prof. Brandenburg, ich bedanke mich für dieses aufschlussreiche Gespräch.

> Link: Fraunhofer Institut für Digitale Medientechnologie – www.idmt.fraunhofer.de

Foto: (c) Christliches Medienmagazin pro

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