
Nach „Fire“ und „Earth -1947“ konnte die indische in Kanada lebende Filmregisseurin Deepa Mehta (56), im vergangenen Jahr schließlich mit „Water“ ihre Trilogie im zweiten Anlauf beenden. Fünf Jahre zuvor kam es während der Dreharbeiten in Benares zu gewaltsamen Ausschreitungen und Angriffen auf das Set und die Filmcrew, verursacht durch Anhänger der extremistischen Hindupartei RSS.
Die Arbeit musste damals der „Verletzung öffentlichen Friedens“ wegen abgebrochen werden, wurde aber schließlich im Jahre 2005 unter Geheimhaltung auf Sri Lanka beendet. Der Film erzählt aus dem Leben der achtjährigen Chuiya, die nach dem Tod ihres Ehemannes in ein Heim für Witwen verbannt wird – ein Schicksal, das tatsächlich Millionen junger Mädchen im Indien der 30er Jahre erleiden mussten.
Wir hatten die Möglichkeit mit Deepa Mehta im Rahmen der Filmfestspiele, die vom 15. bis 22.07. in München stattfanden, über ihren umstrittenen Film „Water“ zu sprechen und landeten am Ende in einer kontroversen Diskussion über die indische Gesellschaft.
Frau Mehta, sind Sie religiös?
Ich weiß nicht ob ich behaupten kann im herkömmlichen Sinne religiös zu sein. Mir gefallen die Dinge nicht, die man allgemein mit Religion verbindet, wie das Ausführen von Pujas oder in die Kirche zu gehen. Aber ich glaube an die Spiritualität und ich glaube fest daran, dass es eine höhere Kraft gibt.
„Water“ macht einen 2000 Jahre alten hinduistischen Text für die schlechte Behandlung von Witwen in Indien verantwortlich. Wenn man heutzutage zum Beispiel christliche Hochzeiten in Indien betrachtet, stellt man fest, dass auch dort noch Mitgift gezahlt wird. Inwiefern glauben Sie, dass Dinge wie das Kastensytem, Mitgiftzahlungen oder der Umgang mit Witwen, die ja offiziell ein Problem der Hindu-Gesellschaft sind, überhaupt noch auf hinduistischen bzw. überhaupt noch auf religiösen Vorstellungen basieren?
Religion ist etwas sehr Schönes, sie beschützt die Menschen und die Menschen beschützen sie. Religion macht Menschen sehr emotional und das haben die Politiker im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende auch erkannt. Egal ob heute oder vor 2000 Jahren, Religion wird für politische Zwecke missbraucht, die Leute können dadurch in Schach gehalten werden. Es hat nichts mit Hinduismus zu tun, sonst könnte man genauso fragen inwieweit sich das, was die Kirche tut, mit der Bibel deckt.
Aber der Text ist doch aus einer hinduistischen Schrift entnommen. Dann machen Sie doch indirekt auch den Hinduismus dafür verantwortlich, diese Ideen zu verbreiten.
Was ist Hinduismus überhaupt oder was ist Politik? Politik soll den Menschen dienen, sie soll das Zusammenleben erleichtern, aber im Grunde genommen bedeutet Politik nichts anderes als Geld und Macht. Welche Auswirkungen hat dieser Text auf eine patriarchale Gesellschaft wie die indische? In Indien leben die Menschen in Großfamilien mit 3 oder 4 Brüdern. Einer stirbt. Was jetzt? Anstatt mit der Frau des verstorbenen Bruders weiter in Gemeinschaft zu leben, das heißt weiterhin mit ihr zu teilen, sagt man ihr sie solle das tun was ihre Religion von ihr erwarte. Sie solle in einen Ashram gehen und dort ihr restliches Leben mit Beten verbringen.
Also bitte, dahinter stecken doch nur rein materielle Interessen! Das „Manu Smrithi“, in dem sich dieser Text befindet, ist ein Gesetzbuch, aber nicht der Hinduismus an sich!
Wenn man sich „Fire“ und jetzt „Water“ anschaut, dann wird ein Bild vermittelt, das die indische Frau als unterdrücktes Wesen ohne Rechte darstellt. Sie als indische Frau, fühlen Sie sich denn unterdrückt?
Naja, Frauen in Indien werden ja auch unterdrückt! Was mich betrifft, ich hatte sehr großes Glück in eine offene und tolerante Familie geboren zu sein. Ich konnte meinen eigenen Weg gehen, doch viele andere Frauen können das nicht!
Das Bild der unterdrückten Frau gehört ja auch zu den Klischees über Indien, auch wenn es teilweise sogar wahr ist. Aber glauben Sie, dass der „durchschnittliche“ Deutsche, ohne besondere Vorkenntnisse über Indien, jetzt ins Kino geht und Ihren Film sieht, überhaupt wahrnimmt, dass der Film das Indien der 30er Jahre widerspiegelt und nicht das heutige? Wie groß ist die Gefahr, dass die Zuschauer im Westen sich in ihrem Indienbild bestätigt fühlen und gar nicht begreifen, dass sich auch die indische Gesellschaft in den letzten 70 Jahren verändert hat, vielleicht sogar noch stärker als die westliche?
Was soll denn daran eine Gefahr sein? In Indien gibt es nun mal einige Dinge, die nicht so schön sind, genauso wie in jedem anderen Land. Und außerdem gibt es diese Witwenhäuser ja immer noch, das Thema ist also auch im Jahre 2006 durchaus noch relevant!
Die Anzahl der Witwen in Indien wird momentan auf 34 Millionen geschätzt, davon leben ungefähr 12 Millionen in diesen Unterkünften. Bei einer Gesamtbevölkerung von 1,2 Milliarden Menschen ist das Problem doch nicht wirklich so dramatisch wie Sie es darstellen, oder?
Doch! 12 Millionen sind genau 12 Millionen zuviel! Ich habe für die Recherchen zu „Water“ selbst viele Witwenheime besucht. Die Verhältnisse dort sind miserabel, viele der Frauen müssen sich prostituieren um zu überleben. Es gibt keinerlei Unterstützung, die Frauen leben am Rande der Gesellschaft! Ich sage nicht, dass diese Heime heutzutage noch so verbreitet sind, aber sie existieren! In Kerala wird man so etwas nicht finden, aber wenn man nach Uttar Pradesh, nach Rajasthan, Bihar, West Bengalen oder Assam fährt, ist dort ist die Situation eine ganz andere. Ich finde, dass keine einzige Frau so leben sollte!
Nach der Veröffentlichung des „Da Vinci Code“ kam es weltweit zu friedlichen Protesten gegen den Film. In Indien dagegen riefen Bischöfe zu „Hungerstreiks bis zum Tode“ auf. In zwei Kinos, in der die Komödie „Jo Bole So Nihal“ lief, explodierten Bomben, die einen Kinogänger töteten. Der Film habe angeblich Sikhs aufs Korn genommen. Sie selbst haben schlimme Erfahrungen mit den Reaktionen auf „Fire“ (Thema: eine lesbische Beziehung) und „Water“ in Indien gemacht. Als Filmemacher ist man in der Position eine sehr breite Masse an Menschen zu erreichen. Oft wird Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, vorgeworfen nicht die Folgen ihres Handelns zu bedenken und unverantwortlich mit sensiblen Themen wie Religion in den Medien umzugehen. Gerade was die ohnehin schon sehr angespannte Situation betrifft, wie denken Sie darüber?
Es ist sehr schade dass solche Dinge passieren wie es bei „Jo Bole So Nihal“ der Fall war. Das indische Publikum ist sehr emotional. Aber keiner der Leute, die sich über „Water“ aufgeregt haben, hatten den Film gesehen, wir waren ja gerade erst bei den Dreharbeiten! Was hat mein Film denn mit Religion zu tun? Ich kann nicht verstehen, wie sie darauf kommen, dass ich ihre Religion kritisiere, es geht doch überhaupt nicht um Religion! Irgendjemand wird immer irgendetwas an dem was du machst, anstößig finden. Das ist genau dasselbe wie der Vorwurf, ich würde durch meine sozialkritischen Filme im Westen ein schlechtes Bild von Indien vermitteln. Das kümmert mich doch überhaupt nicht, was der Westen über uns denkt, soll er denken was er will. Ich mache diese Filme, weil sie einen Teil der indischen Realität widerspiegeln. Um sich seiner eigenen Herkunft sicher zu werden, muss man auch in der Lage sein sich mit sensibleren Themen auseinanderzusetzen. Die Welt, die uns Bollywood zeigt, ist doch nicht die wahre! Soll dass das Ziel sein?
In meinem neuen Film geht es um Rassismus, ich erforsche die Hintergründe und all das. Gerade für uns als Inder ist das ein Thema, das ja auch uns betrifft. So, soll ich jetzt so tun als gäbe es keinen Rassismus auf der Welt, nur weil sich irgendjemand aufregen könnte?
Kurz nach Diwali wird „Water“ ja voraussichtlich auch in den indischen Kinos anlaufen. Wie schätzen Sie seine Chance dort ein? Haben sozialkritische Filme in Indien überhaupt eine Chance?
Natürlich, vor allem in den letzten Jahren hat diese Art von Filmen noch mehr an Bedeutung gewonnen, zum Beispiel durch „Mr. & Mrs. Iyer“. Das sozialkritische Kino war in Indien schon immer erfolgreich, wenn auch nicht so wie Bollywood. Wie „Water“ dem indischen Publikum gefällt, weiß ich auch nicht – ich hoffe aber das indische Publikum macht sich selbst ein Bild davon.
Ich war überrascht John Abraham in der Rolle des Narayan zu sehen, aber noch mehr, dass er da so gut reingepasst hat! Wie sind Sie auf ihn gekommen?
Ehrlich gesagt hat mich meine Mutter auf John aufmerksam gemacht. Ich habe ihn davor nicht gekannt, keinen seiner Filme gesehen. Dann habe ich mir „Jism“ angeschaut und meinte zu meiner Mutter: „Das ist doch nicht dein Ernst, oder?“ Ich habe John aber dann persönlich kennengelernt und da wusste ich, dass er weit mehr kann als mit Sonnenbrille und offenen Hemd durch den Regen zu laufen. Er ist ein sehr talentierter junger Mann und ich hatte in keiner einzigen Sekunde Bedenken mit ihm zu arbeiten!
Dieser „Touch von Bollywood“ in Person von John Abraham macht den Film doch aber auch sicherlich für das indische Publikum interessanter oder?
Das weiß ich nicht, für John Abraham Fans wahrscheinlich schon, aber das war nicht der Gedanke dahinter. „Water“ ist alles andere als ein Bollywoodfilm und die Personen, die für seinen Vertrieb auf dem indischen Markt zuständig sind, haben ihn auch nicht als solchen deklariert.
Als ich den Film im Kino sah, fand ich eine Szene sehr beeindruckend… und zwar als Shakuntala von Chuiya wissen will wie sie aussieht und Chuiya nur antwortet: „alt“! Dann sieht man Shakuntalas Gesicht in Großaufnahme mit Tränen in den Augen, aber es fällt kein Wort. Es gibt nicht viele Filme die es schaffen Emotionen so gut rüberzubringen wie „Water“. Wie wichtig ist das für Sie als Regisseurin Gefühle zu vermitteln und wie wichtig sind Ihnen Texte?
Das ist eine der größten Herausforderungen, und so etwas hinzubekommen ist wirklich schwer. Seema Biswas, die Shakuntala spielt, ist aber einfach eine wunderbare Schauspielerin. In der Szene, die Sie beschrieben haben, braucht es gar keine Worte mehr. Man sieht Shakuntala wie sie da am Ufer steht und ihr klar wird, dass ihr Leben vorbei ist, dass sie ihr Leben verschwendet hat. Ein Text könnte niemals das vermitteln, was ich in dieser Szene wirklich vermitteln wollte.
Noch eine letzte Frage: ich habe gelesen, dass die kleine Chuiya, die ja eine der Hauptdarstellerinnen des Filmes ist, direkt auf Sri Lanka gecastet wurde und nur Sinhala spricht. Der Film ist ja auf Hindi, aber ich habe keinen Akzent bei ihr gehört, wie haben Sie das hinbekommen und wie hat das überhaupt mit den Anweisungen geklappt?
Also, mit Kindern zu arbeiten ist eigentlich ganz einfach! Sie tun genau das, was man ihnen sagt, zum Beispiel: „Zähl bis 10 und dann schau hoch“, das ist ganz einfach! Das Sprachproblem haben wir mit einem Dolmetscher und Zeichensprache gelöst. Im Laufe der Zeit habe ich dann auch selbst etwas Sinhala gelernt und sie etwas Englisch und schließlich ist dann ein Film in Hindi entstanden, auch wenn sie gar nicht verstanden hat, was sie da eigentlich gesagt hat. Mein eigenes Hindi ist perfekt, sie hat die Sätze eingeübt und nachgesprochen wie ich es vorgesagt habe, deshalb hört man fast keinen Akzent. Aber es gab schon ein paar Laute, die es im Hindi gibt, aber nicht in Sinhala, wie das „gh“… Im Endeffekt, hatten wir wirklich Glück sie gefunden zu haben, sie ist ein echtes Naturtalent!
Ich bedanke mich für die Zeit, die Sie sich für dieses Interview genommen haben.
„Water“ ist ab dem 07.09.06 in den deutschen Kinos zu sehen.
Foto: (c) Donostia Kultura