(nr) Wie ein kicherndes Kind in der Uniform des großen Kinos stolpert „Tanvi the Great“ durch eine Geschichte, die viel sein will – Heldinnenreise, Familienfilm, Militärdrama, Inklusionsstück – und sich dabei in ihrem eigenen Pathos verheddert. Es ist ein Film, der mit guten Absichten startet, doch unterwegs den Respekt vor seiner eigenen Botschaft verliert.
Regie-Veteran Anupam Kher kehrt nach über zwei Jahrzehnten zurück – mit einem Herzensprojekt, das als liebevoll gedachte Ode an eine neurodivergente Protagonistin daherkommt. Doch was auf dem Papier als zartfühlende Erzählung einer jungen autistischen Frau klingt, mutiert auf der Leinwand zur überzuckerten Fantasie, irgendwo zwischen „Taare Zameen Par“ und einer Motivationsrede auf LinkedIn.
Im Mittelpunkt steht Tanvi (Shubhangi Dutt in ihrem Debüt), 21 Jahre alt, autistisch, aber unbeirrt. Ihr Traum: das indische Trikolore am Siachen-Gletscher hissen, um das Vermächtnis ihres gefallenen Vaters zu ehren. Ein kraftvolles Bild, keine Frage. Doch anstatt die psychologische Tiefe dieser Sehnsucht zu erkunden, wird der Film zur schablonenhaften Hindernisbahn, durch die sich Tanvi mit einem Mix aus Cuteness und Patriotismus hindurchhangelt.
Der Film hat seine leisen Momente, doch sie bleiben seltsam hohl. Tanvis musikalische Ader – ihr Zugang zur Welt, ihr Rückzugsort – wird reduziert auf eine Art Bhajan-Superkraft, die kaum mehr als ein dekoratives Merkmal bleibt. Statt ihre Individualität ernst zu nehmen, wird sie zur Projektionsfläche für all jene, die „anders“ nur dann akzeptieren, wenn es sich gut in den Rest einfügt.
Die Figuren rund um Tanvi wirken wie aus dem Storyboard eines Motivationsposters entsprungen: der strenge Großvater (Kher selbst), der weise Musiklehrer (Boman Irani), der sensible Ausbilder (Arvind Swami), die Expertin-Mutter (Pallavi Joshi), die rechtzeitig abreist, um dem Film mehr „Entwicklungspotenzial“ zu geben. Alles wirkt kalkuliert und sicher – aber nie lebendig.
Besonders unangenehm sind jene Passagen, in denen die Erzählung krampfhaft modern wirken will. Eine völlig überzeichnete Social-Media-Influencerin bringt das ohnehin fragile Gleichgewicht vollends ins Wanken. Zwischen „Yo man“-Begrüßungen und Handy-Sucht wird die Gen Z zur Lachnummer degradiert – unfreiwillig komisch, zutiefst peinlich.
Was dabei völlig untergeht: das Thema. Autismus wird hier weniger als menschliche Realität denn als dramaturgischer Kniff behandelt. Statt gesellschaftliche Hürden aufzuzeigen, hangelt sich der Film von Pathos zu Pathos – als reichte ein reiner Wille, um sich durch ein hochkompetitives Auswahlverfahren wie das der SSB (Service Selection Board) zu kämpfen. Militärische Eignung als Herzenssache – wirklich?
Dabei ist „Tanvi the Great“ nicht ganz ohne Verdienste. Die Landschaftsaufnahmen in und um Lansdowne sind wunderschön, Keiko Nakaharas Kameraarbeit bringt Ruhe und Tiefe in die Szenerie. Auch Kher selbst überzeugt in der Rolle des anfangs überforderten, später engagierten Großvaters. Ebenso gelingt es Shubhangi Dutt in Momenten, der Figur Würde und Eigenständigkeit zu verleihen – auch wenn die Regie ihr dafür oft zu wenig Raum gibt.
Was bleibt, ist ein Film, der mit einem Funken beginnt und in der eigenen Gutgemeintheit erstickt. „Tanvi the Great“ hätte ein mutiges, ehrliches Porträt einer jungen Frau sein können, die ihren Weg geht – nicht trotz, sondern mit ihrer Besonderheit. Stattdessen verliert sich das Werk in glattgebügelten Fantasien, unglaubwürdigen Entwicklungen und einer viel zu süßlichen Tonalität.
Kurzum: Ein Film mit Herz, aber ohne Rückgrat. „Tanvi the Great“ ist bemüht, relevant zu sein, aber scheitert an seiner Angst vor Ambivalenz. Die Stärke seiner Protagonistin hätte mehr verdient – mehr Reibung, mehr Wahrhaftigkeit, mehr Kino.