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Geteilt und entfesselt: Das fatale Erbe des British Raj

Die koloniale Spaltungspolitik und ihr Erbe

Die Teilung Britisch-Indiens im Jahr 1947 stellt einen der tiefgreifendsten Einschnitte in der Geschichte Südasiens dar – sie markierte nicht nur das Ende der jahrhundertelangen kolonialen Herrschaft Großbritanniens, sondern führte zugleich zu einem bis heute andauernden und blutigen Konflikt zwischen Indien und Pakistan. Insbesondere die Region Kaschmir steht seitdem im Mittelpunkt territorialer und politischer Auseinandersetzungen, die ihren Ursprung in den Entscheidungen und Versäumnissen der britischen Kolonialmacht haben. Um die britische Mitverantwortung für diesen anhaltenden Konflikt zu erfassen, ist es unerlässlich, die komplexen Hintergründe der kolonialen Teilungspolitik, die Umstände der Grenzziehung sowie die Rolle Kaschmirs im Kontext des Dekolonialisierungsprozesses umfassend zu analysieren.

Bereits im 19. Jahrhundert hatte das British Empire mit seiner kolonialen Verwaltung eine Politik des „divide et impera“ (dt. „Teile und herrsche“) verfolgt, die religiöse und ethnische Identitäten bewusst herausstellte und politisierte. Die Einführung konfessionell getrennt geführter Wählerverzeichnisse institutionalisierten eine politische Spaltung zwischen Hindus und Muslimen, die zuvor in dieser Form nicht existierte. Besonders mit der Förderung der Muslim League als Gegengewicht zum überwiegend hinduistisch dominierten Indian National Congress trug Großbritannien zu einer zunehmenden Verfestigung religiöser Identitäten bei, die politische Lager voneinander scharf abgrenzten. Diese koloniale Strategie diente nicht nur der Kontrolle der Bevölkerung, sondern schürte langfristig Misstrauen und Konfliktpotenziale, die sich später als verhängnisvoll erwiesen.

Überstürzte Unabhängigkeit und die chaotische Grenzziehung

Die Ankündigung des britischen Rückzugs im März 1947 durch Vizekönig Lord Mountbatten (Foto: mit Mahatma Gandhi und Ehefrau Edwina Mountbatten) erfolgte abrupt und mit einem unüblich engen Zeitplan. Die Unabhängigkeit wurde für den 15. August desselben Jahres terminiert, was der komplexen Aufgabe einer geordneten Übergabe an zwei souveräne Staaten in keiner Weise gerecht wurde. Die Grenzziehung zwischen Indien und Pakistan oblag der Radcliffe-Kommission, die in nur fünf Wochen ohne ausreichende Ortskenntnis und Rücksprache mit lokalen Akteuren eine Teilung festlegte, die vielfach willkürlich und unter Vernachlässigung historischer, sozialer und wirtschaftlicher Zusammenhänge erfolgte. Die daraus resultierende Grenzziehung zerschnitt nicht nur territoriale Einheiten, sondern auch wirtschaftliche Verbindungen und gesellschaftliche Netzwerke. Dieses überhastete Vorgehen führte zu massiven Fluchtbewegungen von geschätzt zehn bis zwölf Millionen Menschen, begleitet von ethnisch-religiös motivierter Gewalt, die Hunderttausende das Leben kostete.

Inmitten dieses chaotischen Szenarios lag der Fürstenstaat Jammu und Kaschmir, eine politische und geografische Singularität. Mit seiner muslimischen Bevölkerungsmehrheit stand Kaschmir unter der Herrschaft des hinduistischen Maharadschas Hari Singh. Nach den Prinzipien der Teilung hätten muslimisch dominierte Gebiete an Pakistan fallen sollen, doch im Fall der über 560 Fürstenstaaten war die Entscheidung über einen Beitritt offiziell ihren Herrschern überlassen worden. Maharadscha Hari Singh versuchte, den Staat zunächst unabhängig zu halten, während sich sowohl Indien als auch Pakistan um die Kontrolle bemühten. Im Oktober 1947 kam es zu einem Einfall bewaffneter Stammesmilizen aus Pakistan, die mit stillschweigender Billigung der pakistanischen Regierung handelten. In seiner Not wandte sich Hari Singh an Indien um militärische Unterstützung, die dieser aber an die Unterzeichnung des „Instrument of Accession“ koppelte – ein Vertrag, durch den Kaschmir formal indischer Souveränität unterstellt wurde. Dieser Schritt entzündete den ersten Krieg zwischen Indien und Pakistan und legte den Grundstein für Jahrzehnte währende territoriale und politische Konflikte.

Das andauernde Erbe kolonialer Fehlentscheidungen

Die Vereinten Nationen versuchten 1948 zu intervenieren, indem sie einen Waffenstillstand und ein Referendum zur Bestimmung des endgültigen Status Kaschmirs forderten. Dieses Referendum wurde jedoch nie durchgeführt, was die Spannungen weiterhin nährte. Stattdessen führte der Waffenstillstand zur faktischen Teilung Kaschmirs entlang der sogenannten Line of Control, die bis heute die faktische Grenze darstellt. Indien behielt das fruchtbare Kaschmirtal, während Pakistan die nördlichen und westlichen Gebiete kontrolliert. Die Folge waren weitere Kriege (1965, 1971, Kargil 1999), wiederholte Aufstände und schwere Menschenrechtsverletzungen, insbesondere seit den 1980er Jahren, als in indisch kontrollierten Gebieten massive Unruhen mit brutaler Repression beantwortet wurden. Zehntausende verloren ihr Leben, und Hunderttausende flohen oder wurden vertrieben.

Die historische Verantwortung Großbritanniens für diese Entwicklung liegt vor allem in der überstürzten und unzureichend vorbereiteten Teilung und Entkolonialisierung. Es fehlte an einem klaren Plan für die Integration der Fürstenstaaten sowie an einem sensiblen Umgang mit den sozialen Realitäten und ethnischen Komplexitäten der Region. Die jahrzehntelange koloniale Politik der konfessionellen Spaltung hatte tiefe Gräben hinterlassen, die mit dem Abzug der Briten unvermittelt aufbrachen. Zudem zeigten sich britische Interessen im internationalen Rahmen, beispielsweise innerhalb der Vereinten Nationen, oft parteiisch zugunsten Pakistans, was den Konflikt zusätzlich verschärfte. Großbritannien hatte das politische Terrain vorbereitet, auf dem nun ein erbitterter und blutiger Kampf um Macht und Territorium entbrannte.

Ein Blick in die Vorgeschichte verdeutlicht, dass der Kaschmirkonflikt kein „uralter“ oder unvermeidlicher religiöser Konflikt war. Vor 1947 gab es keine offene militärische Auseinandersetzung zwischen Hindus und Muslimen in Kaschmir, sondern eine relative Koexistenz unter der Herrschaft des Maharadschas. Die politischen und militärischen Spannungen entstanden erst durch die koloniale Teilung und die nachfolgenden territorialen Ansprüche. Damit ist der Kaschmirkonflikt vielmehr als unmittelbare Folge einer fehlgeleiteten und hastig umgesetzten Kolonialpolitik zu verstehen. Großbritannien trägt somit eine entscheidende historische Mitverantwortung für die Entstehung und Fortdauer dieses bis heute ungelösten Konflikts – wenngleich es nicht der alleinige Verursacher ist, so doch der unvermeidliche Auslöser.

Das Erbe des British Raj ist damit nicht nur eine Vergangenheit von Herrschaft und Ausbeutung, sondern auch eine anhaltende Belastung, die das politische Klima Südasiens bis heute prägt. Die Teilung und ihre Folgen haben unermessliches Leid verursacht, nachhaltige Misstrauensstrukturen geschaffen und den Nährboden für Gewalt und Konflikte gelegt. Ein tieferes Verständnis dieses kolonialen Erbes ist essenziell, um die Dynamiken zwischen Indien und Pakistan sowie die komplexe Lage Kaschmirs angemessen einordnen zu können.

Quellen (Auswahl):

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