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Wadephul im Innovationsrausch?

Bangalore, die südindische Metropole und Herzstück der IT- und Innovationsbranche, stand dabei bewusst am Anfang der Reise. Dort wollte Wadephul den „Puls der indischen Innovationskraft“ spüren und Möglichkeiten sondieren, wie deutsche Unternehmen von Indiens dynamischer Wirtschaft profitieren können. Für Berlin ist klar, dass Indien als schnell wachsende Volkswirtschaft, als Technologie-Hub und als geopolitisches Gegengewicht zu China künftig eine noch größere Rolle spielen wird. Im Mittelpunkt steht auch das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien, das nach jahrelangen Verhandlungen nun möglichst bis Ende 2025 abgeschlossen werden soll. Kommissionspräsidentin von der Leyen und Premierminister Modi hatten zuletzt bekräftigt, diesen ehrgeizigen Zeitplan einzuhalten, und sprachen von einem der größten Abkommen dieser Art weltweit. Kritiker warnen jedoch, die Komplexität der Verhandlungen – von Standards über Marktzugang bis hin zu Herkunftsregeln – könne einen Abschluss in diesem Tempo unrealistisch erscheinen lassen.

Neben Handel und Innovation legt Wadephul besonderes Gewicht auf die Fachkräftegewinnung. Indische Studierende stellen schon heute die größte ausländische Gruppe an deutschen Hochschulen, und als hochqualifizierte Absolventen werden sie auf dem deutschen Arbeitsmarkt dringend gebraucht. Schnellere Visa, bessere Sprachförderung und verlässliche Strukturen sollen aus diesem „perfect match“, wie Wadephul es nennt, eine nachhaltige Säule der bilateralen Beziehungen machen. Auch die sicherheitspolitische Dimension rückt in den Vordergrund. Berlin und Neu-Delhi verstehen sich zunehmend als Partner, die eine regelbasierte internationale Ordnung verteidigen wollen – nicht zuletzt angesichts des russischen Angriffskrieges in der Ukraine und Chinas wachsender Machtprojektion im Indopazifik.

Dass Indien gleichzeitig eng mit Moskau verbunden bleibt und massiv russisches Erdöl importiert, verdeutlicht jedoch die Widersprüche dieser Partnerschaft. Für Washington ist Indien damit ein Problemland, während Berlin es als strategischen Partner hofiert. Die Europäer setzen auf Zusammenarbeit und Marktöffnung, während die USA mit Zöllen und Druck auf die Energiepolitik agieren.

Wadephuls Indien-Reise zeigt somit die Ambivalenz deutscher und europäischer Außenpolitik: Sie will Indien enger an den Westen binden, sieht darin Chancen für Handel, Fachkräfte und geopolitische Stabilität, stößt jedoch zugleich auf Indiens eigene Interessen, die sich nicht immer mit denen Europas oder der USA decken. Ob die Euphorie über Freihandel, Innovation und Fachkräfte langfristig trägt, hängt weniger von politischen Absichtserklärungen ab als von der Fähigkeit beider Seiten, Gegensätze auszuhalten und Kompromisse zu finden. Indiens wirtschaftlicher Aufstieg ist unbestreitbar, seine strategische Autonomie ebenso. Für Deutschland bleibt die Partnerschaft daher eine Balance zwischen Hoffnung und Realität – ambitioniert, aber nicht ohne Risiko.

Quellen:

Foto: (c) Re:publica GmbH

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