
Daniel Raja ist seit vielen Jahren eine prägende Stimme in der deutsch-indischen Wirtschaftszusammenarbeit – insbesondere im Mittelstand. Im Interview spricht er offen über seine persönliche Motivation, interkulturelle Brücken zu bauen, und zeigt, wie tief seine berufliche Arbeit mit seiner eigenen Lebensgeschichte verwoben ist. Aus der Erfahrung zwischen zwei Kulturen schöpft er Kraft und Kompetenz, um Unternehmen strategisch zu begleiten und gesellschaftlich Verantwortung zu übernehmen. Er plädiert für mehr Vertrauen, Diversität in Führung und mutige, wertebasierte Partnerschaften zwischen Deutschland und Indien – gerade in Zeiten von Transformation und Fachkräftemangel. Sein Appell: Wer Brücken bauen will, braucht Ausdauer, Ehrlichkeit und den Willen, gemeinsam zu wachsen.
Daniel, was motiviert dich ganz persönlich, seit so vielen Jahren Brücken zwischen Deutschland und Indien zu bauen – gerade im Kontext des Mittelstands?
Wie viele Menschen mit Migrationshintergrund habe auch ich mich lange gefragt: Wo gehöre ich eigentlich hin? Zu welcher Kultur zähle ich wirklich? Irgendwann wurde mir klar: Ich gehöre weder ganz zur einen noch zur anderen Seite – und genau darin liegt meine Stärke. Ich kenne beide Welten gut genug, um sie miteinander zu verbinden.
Diese Erkenntnis begleitet mich bis heute – beruflich wie privat. Mein Umfeld ist stark deutsch-indisch geprägt: Meine Frau ist in Mumbai aufgewachsen, wir leben jedoch in einer deutschen Kleinstadt. Meine Schwiegereltern wohnen in Bangalore, die Familie meines Vaters stammt aus Tamil Nadu, die meiner Mutter aus Kerala. Mein erstes Unternehmen habe ich in Pune gegründet, und meine engsten Freunde sowie Geschäftspartner sind sowohl in Deutschland als auch in Indien zuhause.
Trotz aller kulturellen und sprachlichen Unterschiede funktioniert unser Miteinander erstaunlich gut – weil wir ähnliche Werte teilen. Werte wie Verantwortung, Verlässlichkeit, Hilfsbereitschaft und Bodenständigkeit. Diese Werte habe ich nicht durch meine Erziehung gelernt, sondern in meinem allerersten Job – bei einem deutschen Mittelständler, bei dem ich mit 18 Jahren zu arbeiten begann. Mit dem damaligen Geschäftsführer bin ich bis heute verbunden; ich betrachte ihn als meinen ersten Mentor. Von ihm habe ich gelernt, was es bedeutet, Werte zu verinnerlichen und sein Leben danach auszurichten.
Und genau diese Werte finde ich auch bei vielen indischen Unternehmen wieder. Es gibt also eine gemeinsame Basis, die weit über kulturelle oder sprachliche Unterschiede hinausgeht. Deshalb ist es für mich keine Strategie, sondern eine persönliche Leidenschaft, diese Brücke zwischen dem deutschen und indischen Mittelstand zu bauen – und sie Tag für Tag weiter auszubauen.
Du begleitest kleine und mittlere Unternehmen beim Markteintritt in Indien. Welche Chancen siehst du aktuell – gerade auch in Zeiten von Transformation, Digitalisierung und Fachkräftemangel?
Der Markteintritt in Indien ist nur ein Teil meiner Arbeit. Inzwischen begleite ich auch indische Unternehmen auf ihrem Weg nach Deutschland, berate Wirtschaftsverbände und Regierungsinstitutionen auf beiden Seiten und bin an zahlreichen Pilotprojekten beteiligt, die neue Wege der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Indien aufzeigen.
Gerade jetzt – in einer Zeit, in der deutsche Unternehmen mit Transformation, Digitalisierung und demografischem Wandel ringen – reicht punktuelles Denken nicht mehr aus. Es geht darum, das volle Potenzial der deutsch-indischen Partnerschaft zu erkennen und neue Querverbindungen zu schaffen – zwischen Branchen, Regionen und Denkweisen.
Wir brauchen mehr Out-of-the-box-Ansätze. Noch immer scheitern viele Kooperationen an sprachlichen, kulturellen oder organisatorischen Hürden. Dabei liegen die Chancen auf der Hand: Indien bringt technologische Kompetenz, eine junge, ehrgeizige Generation und unternehmerischen Tatendrang mit. Deutschland bietet Erfahrung, industrielle Exzellenz und hat einen wachsenden Bedarf – an Innovation, Talenten und Unternehmern, insbesondere im Bereich der Unternehmensnachfolge.
In dieser Konstellation sehe ich enormes Potenzial – weit über das hinaus, was in Studien oder klassischen Marktanalysen abgebildet wird. Es geht nicht nur um neue Absatzchancen, Lieferketten oder IT-Outsourcing. Es geht um gemeinsame Innovationsprojekte, Bildungspartnerschaften und Geschäftsmodelle, die auf Vertrauen und gemeinsamen Werten basieren.
Wenn es gelingt, diese Verbindungen strategisch aufzubauen und mit Leben zu füllen, können beide Länder wirtschaftlich in hohem Maße voneinander profitieren.
Du sprichst dich regelmäßig für gesellschaftliches Engagement und Ehrenamt im Mittelstand aus. Warum ist dir das so wichtig – und was hat dich persönlich geprägt, Verantwortung über das Berufliche hinaus zu übernehmen?
Ich engagiere mich seit über zehn Jahren ehrenamtlich – und gerade heute ist gesellschaftliches Engagement wichtiger denn je. Deutschland steht an einem Scheideweg: Der demografische Wandel zwingt uns, offener für Zuwanderung zu sein, gleichzeitig erleben wir eine zunehmende gesellschaftliche Spaltung. Menschen mit Migrationshintergrund fühlen sich oft nicht wirklich willkommen – sie ziehen sich entweder in Parallelstrukturen zurück oder verlassen das Land wieder.
Diese Entwicklung berührt mich persönlich sehr. Ich bin selbst mit vielen Herausforderungen aufgewachsen, die mit meiner Herkunft zu tun hatten. Ich wünsche mir, dass meine Kinder – und alle anderen Kinder, egal woher sie kommen – in einem Deutschland aufwachsen, in dem Herkunft kein Hindernis ist, sondern Vielfalt als Stärke gesehen wird.
Auch im Mittelstand spüren wir diese Spannungen: Unternehmen müssen sich internationaler aufstellen – sei es aus geopolitischen Gründen, aufgrund des Fachkräftemangels oder um neue Märkte zu erschließen. Doch oft fehlt es an kulturellem Verständnis oder an der Bereitschaft, sich diesen Herausforderungen wirklich zu stellen. Ich bin überzeugt: Nur durch echten Dialog und gemeinsames Handeln – beruflich wie privat – können wir Brücken bauen. Und genau hier setzt ehrenamtliches Engagement an.
Ehrenamtliche Tätigkeit ist für mich ein aktiver Beitrag zur nachhaltigen Stabilität und Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft. Jeder, der sein Umfeld und das der nächsten Generation positiv mitgestalten möchte, sollte sich engagieren – auch wenn das mit zusätzlichem Zeitaufwand und ohne finanziellen Nutzen verbunden ist. Wir brauchen mehr Menschen, die Verantwortung übernehmen: für das Miteinander, für junge Menschen und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Internationale Kooperation gelingt nicht durch Verträge allein, sondern durch Vertrauen. Wie gehst du ganz konkret vor, um tragfähige Beziehungen aufzubauen – sei es mit Unternehmern, Institutionen oder Partnern in zwei Kulturen?
Absolut richtig – Verträge schaffen einen Rahmen, aber Vertrauen ist das Fundament. Gerade im deutsch-indischen Kontext ist Vertrauen keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Prozess, der Zeit, Geduld und echtes Interesse am Gegenüber braucht. Und es gibt keinen universellen Königsweg – aber es gibt Prinzipien, an die ich mich halte.
Für mich beginnt jede Partnerschaft mit einem realistischen Erwartungsmanagement. Ich gehe immer mit der Haltung „underpromise and overdeliver“ in Gespräche. Das schafft Verlässlichkeit – nicht durch große Versprechen, sondern durch konsequentes Handeln. Es hat Jahre gedauert, bis ich dieses Prinzip verinnerlicht und an kulturelle Kontexte angepasst habe.
Ein weiterer wichtiger Schritt ist Transparenz. Erwartungen müssen nicht nur besprochen, sondern auch dokumentiert werden – klar, aber ohne Bürokratismus. Bei den Partnerschaften, die wir als Verband heute mit Organisationen wie EPPC India, nasscom oder FICCI aufgebaut haben, war es genau dieser gemeinsame Startpunkt: offen kommunizieren, realistische Ziele definieren und dann mit kleinen, aber konkreten Projekten beginnen.
Ich glaube nicht an 20 Maßnahmen auf einmal – ich glaube an den ersten gemeinsamen Erfolg. Das kann eine kleine Veranstaltung, ein Workshop oder ein Pilotprojekt sein. Entscheidend ist: Beide Seiten lernen dabei, wie der andere tickt, welche Arbeitsweisen funktionieren – und wo man sich ergänzen muss.
Vertrauen entsteht nicht nur durch Erfolg, sondern auch durch den Umgang mit Fehlern. Deshalb ist Ehrlichkeit für mich zentral – auch wenn das bedeutet, unangenehme Themen anzusprechen. Wichtig ist dabei das interkulturelle Fingerspitzengefühl: Was in Deutschland als direkte Kommunikation gilt, kann in Indien als verletzend wahrgenommen werden – und umgekehrt.
Langfristig tragfähige Beziehungen entstehen dann, wenn man sich nicht nur auf das „Was“, sondern auch auf das „Wie“ verständigt – auf Augenhöhe, mit gegenseitigem Respekt und der Bereitschaft, gemeinsam zu wachsen.
Das bedeutet aber nicht, dass man auf Anhieb Erfolg damit hat. Daher braucht man vor allem in dem Deutsch-indischen Kontext auch eine gewisse Ausdauer.
Du engagierst dich für junge Talente und setzt dich für Diversität in Führung ein. Was bedeutet Leadership für dich heute – und was möchtest du der nächsten Generation mitgeben?
Leadership bedeutet für mich heute weit mehr als nur die Fähigkeit, ein Unternehmen zu führen. Es geht darum, als Impulsgeber, als Mentor und als jemand zu agieren, der Verantwortung übernimmt. Und das bedeutet auch, eine Vision zu entwickeln, die über den unternehmerischen Erfolg hinausgeht und gesellschaftliche Verantwortung mit einbezieht.
Gerade in einer Zeit, in der wir mit gesellschaftlicher Spaltung und wirtschaftlichen Unsicherheiten konfrontiert sind, brauchen wir eine neue Generation von Führungskräften. Führungskräfte, die in der Lage sind, Brücken zu bauen, Menschen zu inspirieren und Diversität nicht nur als Schlagwort zu verstehen, sondern aktiv zu leben. Besonders Menschen mit Migrationshintergrund bringen oft genau diese Fähigkeiten mit – weil sie gelernt haben, unterschiedliche Perspektiven zu verstehen und zu verbinden.
Deshalb ist Diversität in Führung für mich ein Schlüssel zum Erfolg. Unterschiedliche Sichtweisen und Erfahrungen führen zu innovativeren Lösungen – und genau das brauchen wir heute mehr denn je.
Was ich der nächsten Generation mitgeben möchte, ist ein klarer Appell: Nutzt eure Vielfalt als Stärke. Seid offen für andere Perspektiven – und hört zu. Ihr habt die Chance, in einer Welt zu führen, die zunehmend interkulturell geprägt ist. Es geht nicht darum, perfekt zu sein – sondern darum, authentisch zu sein und Verantwortung zu übernehmen.
Danke für Deine Zeit!
Link: BVNW – Daniel Raja
