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„12 years: my messed-up love story“ von Chetan Bhagat

Chetan Bhagat ist seit über zwanzig Jahren eine feste Größe in der indischen Literatur, berühmt für seine pointierten, oft autobiografisch gefärbten Geschichten, die das Leben moderner Inderinnen und Inder widerspiegeln. Mit 12 Years: My Messed-Up Love Story legt er nun – erstmals seit einem Jahrzehnt – wieder einen Liebesroman vor. Und er überrascht: weniger jugendlich-verspielt als in seinen Campusromanzen, dafür ehrlicher, verletzlicher und zugleich gesellschaftlich relevanter.

Im Zentrum der Handlung stehen Saket Khurana und Payal Jain. Saket ist 33 Jahre alt, frisch geschieden, ehemaliger Private-Equity-Manager und nun Stand-up-Comedian in Mumbai. Payal ist 21, ehrgeizig, beruflich erfolgreich, aber noch unerfahren in Liebesdingen. Zwischen den beiden entsteht eine Beziehung, die nicht nur durch die zwölf Jahre Altersunterschied, sondern auch durch kulturelle Gegensätze – er Fleisch essender Punjabi, sie Tochter einer konservativen Jain-Familie – auf den Prüfstand gestellt wird. Was zunächst wie ein ungleiches Abenteuer wirkt, entwickelt sich zu einer Suche nach Identität, Selbstbestimmung und echter Nähe.

Bhagat bleibt seinem typischen, leicht zugänglichen Erzählstil treu, der sich wie ein Gespräch über Kaffee liest. Doch diesmal ist seine Stimme reifer, nachdenklicher. Die Schauplätze – zwischen Mumbai und Dubai – sind plastisch geschildert, mit liebevollen Details zu Lokalkolorit und moderner Alltagskultur: Instagram-Feeds, WhatsApp-Broadcasts, Social-Media-Illusionen. Besonders stark gelingt ihm die Innenperspektive des Protagonisten Saket: humorvoll selbstironisch, voller Zweifel, verletzlich und dadurch ungewöhnlich menschlich.

Thematisch wagt Bhagat viel. Er greift Fragen von Männlichkeitsbildern, mentaler Gesundheit, Familien- und Gesellschaftsdruck, Tradition versus Individualität, Geschlechterrollen und toxischem Social Media auf. Gerade die Dynamik von Alter und Macht innerhalb einer Beziehung behandelt er sensibel, ohne in Klischees zu verfallen. Dabei überzeugt auch Payals Figur: Sie ist keine Opferrolle, sondern eine Frau zwischen Anpassung und Selbstbehauptung, deren Entwicklung nachvollziehbar wirkt.

Die Rahmenhandlung mit Sakets Stand-up-Auftritten ist mehr als nur Kulisse – sie dient als Metapher für Verletzlichkeit und Authentizität. Die entscheidende Szene, in der er öffentlich seine Liebe gesteht, könnte leicht kitschig wirken, ist hier aber konsequent vorbereitet und wirkt berührend. Weniger überzeugend sind hingegen einige Längen in der Mitte und das etwas zu glatt gebügelte Ende, in dem Payals Eltern überraschend schnell nachgeben und ein klassisches Happy End mit Kind präsentiert wird. Hier verliert der Roman etwas von seiner zuvor aufgebauten Komplexität. Auch manche Nebenfiguren – etwa Tania oder Payals beste Freundin – bleiben blass und fungieren eher als Plothelfer denn als eigenständige Charaktere.

Warum also der große Hype in den indischen sozialen Medien? Zum einen trifft Bhagat mit dem Thema Altersunterschied in Beziehungen einen Nerv, der in der indischen Gesellschaft gleichermaßen Neugier, Empörung und Faszination auslöst. Zum anderen ist er als Autor selbst längst eine Marke: Jede neue Veröffentlichung wird breit diskutiert, kritisiert, verteidigt – und damit sichtbar. Viele jüngere Leserinnen und Leser feiern 12 Years als mutige, moderne Liebesgeschichte, die Tabus bricht; andere sehen in der Vorhersehbarkeit und der melodramatischen Zuspitzung eher eine Wiederholung alter Muster. Doch gerade dieser Spagat zwischen Authentizität und Kitsch, zwischen Gesellschaftskritik und Massentauglichkeit, trägt dazu bei, dass das Buch in den sozialen Medien trendet.

Trotz dieser Schwächen ist 12 Years ein gelungener, zeitgemäßer Liebesroman, der weit über die Frage „Boy meets Girl“ hinausgeht. Er zeigt, wie Liebe inmitten von Erwartungen, Brüchen und Zweifeln Bestand haben kann – oder scheitert. Wer Bhagat bislang vor allem mit jugendlichen Campusgeschichten verband, wird überrascht sein von der Ernsthaftigkeit und Reife dieses Buchs. Für Neueinsteiger bietet es einen guten Zugang zu seinem Werk, weil es die Leichtigkeit früherer Bücher mit einer neuen emotionalen Tiefe verbindet.

Beim Anblick des recht billig gemachten Covers hätte ich das Buch gleich zur Seite gelegt. Ich gebe jedoch dazu, dass der zuvor genannte Hype in den sozialen Medien mich angesteckt, ja neugierig gemacht hat und ich den Roman innerhalb kurzer Zeit zu Ende las. „12 Years: My Messed-Up Love Story“ ist eben kein perfekter Roman, sondern ein zwiespältiger – ehrlich, nahbar, stellenweise unbequem, mitunter aber auch vorhersehbar und zu harmonisch aufgelöst. Doch genau darin liegt sein Reiz: als Spiegel moderner Beziehungen, als Gesprächsanlass über Tabus und als Beispiel dafür, wie Literatur zwischen Massengeschmack und persönlicher Wahrheit oszilliert.

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