
Holi ist das wohl farbenfroheste Fest der Hindus und wird am Vollmondtag des Monats Phalgun nach dem hinduistischen Kalender gefeiert – entsprechend dem Monat März im gregorianischen Kalender. Dieses Fest weist zahlreiche Elemente archaischer Rituale und ausufernder Fröhlichkeit auf, die sich über Jahrhunderte hinweg jeglicher Zivilisierung und Prüderie widersetzt haben. Während der dreitägigen Feierlichkeiten herrscht im ganzen Land – in Städten, Dörfern und auf dem Land – ein ausgelassener Ausnahmezustand: Menschen ziehen bunt gefärbt durch die Straßen, Parks und Plätze, Kinder und Jugendliche überbieten sich mit originellen Farbkreationen, auch wenn diese oft schwer auswaschbar sind. Es ist ein Fest des unbeschwerten Frohsinns.
Dieses Fest der Freude, Ausgelassenheit und Lebenslust markiert auch den Abschied vom Winter und den Beginn des Frühlings – der Jahreszeit der Hoffnung und der Erneuerung. Wenn die Natur aufblüht, die ersten Blüten an Gulmohur-, Korallen-, Kapok- und Mangobäumen erscheinen und Gärten in einem Farbenmeer von Rot, Pink, Orange, Gelb und Grün leuchten, treten auch die Menschen aus ihren Häusern hervor. Sie erleben die erwachende Natur, genießen die wärmenden Sonnenstrahlen und die friedliche Stille der Frühlingsnächte. Diese neu erwachte Lebensfreude äußert sich in Tanz, Musik und Schauspiel. Für viele, vor allem Bedürftige, bedeutet Holi auch das Ende einer entbehrungsreichen und kalten Jahreszeit.
Holi zählt zu den ältesten Festen der Arier und wird bereits in klassischen Sanskritwerken wie dem Dashakumar Charit und dem Garuda Purana erwähnt. Auch in Harshadevas Theaterstück Ratnavali aus dem 7. Jahrhundert findet sich eine lebendige Schilderung des Festes.
In jenen frühen Zeiten war Holi als Vasantotsav bekannt – das Frühlingsfest. Der große Dichter Kalidas nannte es gar Madanotsav, das Fest des Liebesgottes. Auch Bhavabhuti schildert in seinem Drama Malati-Madhava, wie sich der König unter das Volk mischt und mit diesem das rauschhafte Fest feiert.
Die mythologischen Ursprünge von Holi variieren je nach Region. In Südindien, besonders in Tamil Nadu und Kerala, wird die Legende von Kamadev erzählt, dem Gott der Liebe, dessen Bogen aus Zuckerrohr besteht und dessen Sehne summende Bienen sind. Seine Pfeile – durchdrungen von Leidenschaft – treffen Vögel, Tiere und Menschen. Als er jedoch in übermütiger Selbstüberschätzung Lord Shiva beim Meditieren störte, öffnete dieser sein drittes Auge und verbrannte Kamadev zu Asche. Seine Frau Rati flehte Shiva um Gnade an, der ihr gewährte, Kamadev zwar sehen, aber nicht mehr körperlich berühren zu dürfen – er blieb fortan „Ananga“, körperlos. Die Lieder, die in Tamil Nadu zu Holi gesungen werden, erzählen von Ratis Schmerz. Hier kennt man das Fest unter den Namen Kamavilas, Kaman Pandigai und Kama Dahanam.
Auch im Norden Indiens ist Holi eng mit mythologischen Erzählungen verbunden, insbesondere mit Krishna, der achten Inkarnation Vishnus. In der Legende schickt der Tyrann Kamsa die Dämonin Putana, um das Kind Krishna zu töten. In Gestalt einer schönen Frau versucht sie, Kleinkinder zu vergiften – doch Krishna saugt sie zu Tode. Zur Erinnerung an dieses Ereignis werden am Vorabend des Holi-Fests große Feuer entzündet, die Putanas Tod und Krishnas Sieg symbolisieren. Für viele steht Putana dabei sinnbildlich für den Winter, dessen Ende durch das Feuer besiegelt wird.
Eine weitere zentrale Legende ist die Geschichte des Dämonenkönigs Hiranyakashyapu, der verlangte, selbst als Gott verehrt zu werden. Sein Sohn Prahlad widersetzte sich ihm und blieb Lord Vishnu treu. Der König schickte seine Schwester Holika, die durch einen Zauber vor Feuer geschützt war, um Prahlad zu töten. Doch während sie mit ihm ins Feuer trat, verbrannte Holika – und Prahlad überlebte unversehrt. Der Name „Holi“ leitet sich vermutlich von diesem Ereignis ab, das als Symbol für den Sieg des Guten über das Böse gilt. In Nordindien, Gujarat und Odisha werden zu diesem Anlass Holika-Feuer entfacht und Strohpuppen verbrannt. Auch dem Feuergott Agni werden Gaben wie Getreide und Ernteerzeugnisse dargebracht.
In Westbengalen heißt Holi Dol Jatra oder Dol Purnima. Hier wird eine Statue des Heiligen Chaitanya Mahaprabhu auf einem reich geschmückten Tragegestell durch die Straßen getragen. Die Familienoberhäupter fasten, beten zu Krishna und Agni, bestreuen Krishnas Statue mit Gulal und bringen Süßspeisen dar.
In Mathura und Vrindavan, wo der Krishna-Kult besonders lebendig ist, wird Holi mit Musik, Tanz und Theaterspielen gefeiert. Buntes Wasser und Farben gehören hier selbstverständlich dazu. In Nandgaon, Krishnas Heimat, und Barsana, Radhas Geburtsort, spielen Männer und Frauen das traditionelle „Huranga“-Spiel: Die Männer provozieren, die Frauen „bestrafen“ sie spielerisch mit Stöcken, die von den Männern mit Schilden abgewehrt werden.
Auch in Rabindranath Tagores Shanti Niketan wird Holi auf besondere Weise begangen. Am Dol-Purnima-Morgen kleiden sich die Studierenden in Safrangelb, tragen Blumengirlanden, tanzen und singen zu Ehren ihrer Lehrer. Dabei wird ausschließlich trockener Farbpuder verwendet – flüssige Farben sind verboten. Am Ende erhalten alle einen Punkt aus schwarzem Abhir auf die Stirn – ein Symbol des Segens.
Die Sikh-Gemeinde feiert Holi unter dem Namen Hola Mohalla, meist mit martialischen Vorführungen, Gesang und Festessen.
In Maharashtra ist Holi als Shimga oder Rangpanchami bekannt. Besonders die Fischer feiern mit großem Aufwand, Tanz und Gesang. Heute hat das Fest vor allem in der Mittel- und Unterschicht große Bedeutung. Während der Maratha-Herrschaft wurde Holi prunkvoll gefeiert. So war es an einem Holi-Tag, dass die fünfjährige Jijabai, Tochter eines Adligen, dem kleinen Shahaji farbiges Wasser übergoss – dieses Spiel wurde als glückverheißend gedeutet, und noch am selben Tag wurde ihre Verlobung bekanntgegeben. Aus dieser Verbindung ging Shivaji hervor, der spätere Begründer des Maratha-Reiches, der das Mogulreich erschütterte.
Mit der Zeit bekam Holi eine weitere Bedeutung: Als Frühlings- und zugleich Erntedankfest. Wenn die Winterernte (Rabi) reif ist und das Weizenfeld in goldenem Glanz erstrahlt, feiern die Bauern mit besonderer Freude. Die erste Ernte wird symbolisch Agni geopfert, bevor sie selbst davon essen.
Am Vorabend von Holi entzünden Familien riesige Feuer – bestehend aus Holz, Kuhdung, Ghee, Honig und frischer Ernte. Um das Feuer wird sieben Mal gegangen, Gebete gesprochen und Gaben geopfert. Frauen bereiten Süßspeisen und legen sie als „Naivedya“ ins Feuer. Nachdem das Feuer verglüht ist, wird Asche auf die Stirn aufgetragen und ein Teil des heiligen Staubs für das ganze Jahr im Haus aufbewahrt – als Schutz vor Unglück.
Trotz aller Modernität lebt dieser uralte Brauch der Verehrung des Agni in Indien fort. Holi bleibt ein Fest der Lebensfreude, des Miteinanders und des kulturellen Erbes – ein Fest der Farben, der Freundschaft und der Rückbesinnung auf spirituelle Werte. In seiner Vielfalt und Symbolkraft ist Holi ein unverzichtbarer Bestandteil der indischen Kultur.