Murali Perumal (*1978), gehört zu den Pionieren einer neuen, vielfältigeren Kulturlandschaft in Deutschland. Als einer der ersten indischstämmigen Schauspieler im deutschsprachigen Raum blickt er auf eine beeindruckende Karriere zurück: über 80 Filmrollen in fünf Ländern, Theaterengagements an namhaften Bühnen und mittlerweile auch eine Lehrtätigkeit an der renommierten Otto-Falckenberg-Schule. Doch sein Weg war nicht frei von Hindernissen. Im Interview mit theinder.net spricht Perumal offen über Klischees, Kämpfe und kleine Erfolge – und erklärt, warum gerade heute Mut, Haltung und Repräsentation wichtiger sind denn je.

Wie hat sich Dein Weg als Schauspieler in Deutschland entwickelt? Welche Hürden und Chancen hast Du erlebt? Wie bist Du mit der extrem hohen Konkurrenz bei den Schauspielschul-Aufnahmen umgegangen?
Nach meinem Abitur in Bonn und ein wenig Schultheater- und Jugendclub-Erfahrung im Theater Bonn, wollte ich unbedingt versuchen, an einer staatlichen Schauspielschule im deutschsprachigen Raum genommen zu werden, doch die Hürden bei den schwierigen Aufnahmeprüfungen waren extrem hoch. Generell waren es 800 Bewerber*innen auf 10 Studienplätze pro Schule, die Chancen waren also denkbar gering.
Gab es familiären Druck, einen „klassischeren“ Berufsweg einzuschlagen?
Meine Eltern wollten auf keinen Fall, dass ich Schauspiel studiere, sondern… eh klar, die klassisch indischen Berufe: Informatik, Ingenieur, Wirtschaft oder Medizin. Ich war der erste indischstämmige Deutsche, der sich je an einer dieser großen Schauspielschulen beworben hatte und auch der erste südostasiatische Deutsche überhaupt.
Und dann kam der große Tag…
Ja… Nach einer zehnmonatigen Prüfungs-Tournee wurde ich dann tatsächlich an der 13. Schauspielschule aufgenommen, dem Max Reinhardt Seminar in Wien, einer der besten Schulen. Nach den vier Jahren Schauspielstudium wurde ich Schauspieler für Film, Fernsehen und Theater, ich habe immer beides parallel gemacht… bis heute. Das heißt, ich bin jetzt seit 24 Jahren professioneller Schauspieler, habe an vielen großen, mittleren und kleinen Theatern gearbeitet und in mittlerweile 83 Filmen aus 5 Ländern mitgespielt.
Wie sahen Deine ersten Rollenangebote aus – und wie hast Du sie erlebt?
Ich hatte damals etliche „Ausländer“-Rollen in gebrochenem indischen Deutsch sprechen müssen (den Akzent hatte ich mir von meinen Eltern abgeschaut!), einige Täter- oder Opferfiguren in Filmen gedreht und nur selten Figuren bekommen, wo meine Hautfarbe oder Herkunft keine Rolle gespielt hatte. 2008 fing ich als einer der ersten POC-Schauspieler an, die Gefahren einer Klischée-Besetzung für das Fernseh- und Theaterpublikum öffentlich anzusprechen. Ich schrieb Artikel, gab Interviews in über 27 Zeitungs-, Radio- und Fernsehberichten und bin so irgendwie in die Rolle des „Vielfalts-Botschafters“ für Theater, Film, Fernsehen und Kultur hineingerutscht (das Wort „Diversity“ war damals ja nicht so präsent).
Hat sich seitdem etwas grundlegend verändert?
Erst in den letzten drei Jahren tut sich ernsthaft was hinsichtlich einer diverseren Schauspiellandschaft, allerdings traue ich dem Braten noch nicht ganz. Vielfalt wird mehr als Mode gesehen, kommt mir so vor. Es geht mehr darum, laute kritische Stimmen ruhigzustellen, als um eine selbstverständlich gelebte Vielfalt abzubilden, ohne dauernd mit Diversity zu werben. Mittlerweile arbeite ich parallel auch als Schauspieldozent an der Otto-Falckenberg Schule in München, was mir viel Freude bereitet.
Haben sich die Angebote für Schauspieler*innen mit Migrationshintergrund qualitativ verändert?
Für europäisch-stämmige Schauspielerinnen war es schon seit Jahren leichter, auch für meine türkisch-deutschen Kolleginnen. Ein wirklicher Fortschritt für asiatisch- und afrodeutsche Menschen im Film und Theater hat sich, wie gesagt, erst in den letzten Jahren ergeben.
Mich interessiert, wie Du diese Entwicklung persönlich erlebt hast.
Ich persönlich habe jetzt nicht so wahnsinnig von der Diversity-Bewegung profitiert. Das mag an meinem mittleren Alter liegen und auch daran, dass ich als Inder in Deutschland einer vergleichsweise kleineren und leiseren Community angehöre. Die Förderung von Vielfalt im Film wird oft mit einer reinen Nachwuchsförderung verwechselt. Da liegt ein großes Missverständnis vor, nach dem Motto: „Diversity ist nur was für junge Leute, die „älteren weißen Deutschen“ lassen sich nicht mehr bekehren bzw. von Vielfalt überzeugen. Man unterstellt dem älteren Publikum ab 60 quasi, dass sie keine dunklen Menschen in der Kultur und im Fernsehen sehen wollen. Leider bleiben so allerdings rassistische Vorurteile und Ängste in unserer Gesellschaft bestehen. Sich nur darauf zu verlassen, ein diverses Programm ausschließlich für die Streaming-Dienste und die Mediatheken zu machen, reicht aber bei weitem nicht aus. Wir haben ja auch einen Bildungsauftrag für ein Erwachsenenpublikum.
Also grob gesagt, sind die Figuren komplexer und spannender geworden…
Durchaus, denn nachdem ich früher gerne mal als böser Terrorist besetzt wurde, danach dann viele Jahre ganz oft nur einen „halb-verdächtigen“ Menschen im TV-Krimi spielte, der verdächtig war, verhört wurde, aber am Ende ganz harmlos war…
Das ist doch ein Aufstieg!
(lacht)… spiele ich jetzt sowohl einen urdeutschen Arzt, Anwalt als auch endlich mal wieder einen bösen Charakter fernab von Terror und Migrantenmilieu. einen Bösewicht mit deutschem Namen und der aus emotionalen, menschlichen Gründen ein Verbrechen begeht und nicht aufgrund seiner Ethnizität, Religion oder Hautfarbe. Aber auch dazu bedarf es auch heute noch viel Aufklärungsarbeit für die TV-Redaktionen. Und auf deutschsprachigen Theaterbühnen sieht es auch viel besser aus, ebenso auch auf den Schauspielschulen. Die Theater-Ensembles werden vielfältiger und sind zum Glück nicht mehr rein weiß, wie das zu Beginn meiner Karriere war.
Erzähle doch etwas genauer wie das damals war…
Damals wurde mir an Theatern oft von schrulligen intellektuellen Dramaturgen und Intendanten gesagt, dass es keine Rollen für mich im deutschen Theater gäbe ich sei „zu speziell“ und „man könne ja nicht nur Migrantenstücke machen“. Als Bonner habe ich die Welt nicht mehr verstanden. Immerhin wurde ich erst zum Ausländer gemacht, als ich mit Theater und Film beruflich in Berührung kam. Heute bin ich froh, dass ich diese ganzen Hindernisse und „Nein-Sager“ überwunden habe und dass ich immer noch im Beruf bin, obwohl ich mich damals mehrfach öffentlich kritisch gegenüber meinen Arbeitgebern geäußert hatte. Der Schuss hätte auch nach hinten losgehen können und ich hätte nie mehr Arbeit bekommen. Aber manchmal lohnt es sich, sich selbst treu zu bleiben und was zu riskieren.
Gefällt mir. Wie wichtig sind digitale Orte für Selbstverortung und Austausch – damals und heute? Wie hast Du die Rolle von Plattformen wie theinder.net persönlich erlebt?
Damals hat man sich ja noch live in Persona in Vereinen oder Gemeindeveranstaltungen getroffen, sich ausgetauscht und im Idealfall eine wunderbare Zeit zusammen verbracht. Ich sehne mich ehrlich gesagt wieder sehr nach diesen „echten“ Begegnungen im Leben. Wir verbringen doch sehr viel Zeit auf Social Media und im Netz. Dafür können wir sehr viel mehr Menschen über Social Media erreichen, wichtige Botschaften verbreiten und uns noch viel mehr vernetzen als vorher. Das schätze ich schon sehr. Theinder.net hat auf jeden Fall auch sehr dazu beigetragen, dass sich mehr und mehr Inder bzw. Deutsch-Inder hierzulande kennenlernen, austauschen und sich gegenseitig empowern. Gleichzeitig kamen durch theinder.net auch viele weiße deutsche Mitbürger*innen mit unserer indischen Commuity in Berührung, wofür ich wirklich dankbar bin. Generell haben wir als Inder ja einen sehr guten Ruf in Deutschland, gut gebildet, friedlich, fleißig und erfolgreich. Aber ich persönlich würde mir generell mehr öffentliche, kritische Stellungnahmen aus unserer Bubble heraus wünschen. beispielsweise auch gegenüber Ausgrenzung, Rassismus und anderen gesellschaftspolitischen Themen. Das meinte ich vorhin auch damit, dass wir in Deutschland eine leise Gemeinschaft sind.
Was braucht es aus Deiner Sicht, damit die nächste Generation sich selbstverständlich einbringen kann – in Medien, Kunst, Politik? Was gibst Du jungen Menschen mit, die sich engagieren möchten?
Deine Frage schließt an das an, was ich vorhin meinte: Wir brauchen mehr Mut, uns auch mal öffentlich zu positionieren, Dinge zu kritisieren und auch mal was zu riskieren und nicht immer nur alles brav richtig machen zu wollen. Gerade aus unseren Communities
braucht es mehr junge Menschen, die in Berufe wie Medien, Kunst und Politik gehen (da haben wir noch viel zu wenige!) und sich dort mehr und mehr gesellschaftspolitisch engagieren und aktiv unsere Gesellschaft mitgestalten.
Und wie steht es mit Haltung?
Ich sehe bei uns Indern sehr viele erfolgreiche Menschen, aber in der Öffentlichkeit in der Tat noch zu wenig Haltung und gerade in den heutigen Zeiten der immer stärker werdenden rechten Bewegung, braucht es auch unsere Stimmen dringender denn je. Denn wenn wir allerdings nur bequem und still für uns leben (womit ich nicht generell allen Passivität unterstellen möchte), dann wird uns das aber auch nicht vor dem weiter aufkeimenden Rassismus in unserer Gesellschaft schützen. Und je mehr junge nicht-weiße Menschen z.B. in kulturellen oder medialen Berufen arbeiten und sich dort auch öffentlich positionieren, desto mehr wird Viefalt in Deutschland zur Normalität desto mehr Vorbilder werden geschaffen für die Migrantencommunities und desto mehr Vorurteile und Ängste können langfristig abgebaut werden in unserer Gesellschaft. Auch wir gestalten unsere Gesellschaft aktiv mit, um den Zusammenhalt und die Zusammengehörigkeit in unserer Gesellschaft zu stärken.
Welche Veränderungen beobachtest Du im öffentlichen Klima? Wie reagieren Medien und Kulturinstitutionen auf den gesellschaftlichen Rechtsruck?
Ich spüre generell eine rückwärtsgewandte Politik, welche leider zur Zeit auch großen Einfluss auf unsere Medien- und Kulturlandschaft zu haben scheint. Unsere Diversitätsprogramme werden gestrichen bzw. werden diesbezüglich Stellen abgebaut in den Medien. Durch das Erstarken des Rechtsrucks möchte man wieder zurück zur alten weißen Welt, so ist zumindest mein Gefühl. Die Fortschritte hinsichtlich Repräsentation und der Teilhabe aller marginalisierten Gruppen werden somit zunichte gemacht. Und ja es gibt ja offensichtlich auch genügend Menschen, die Diversity und Gleichberechtigung einfach auch nicht wollen. Wir Theater- und Filmschaffende dürfen einfach nicht nachlassen, uns zu positionieren. Sobald wir bequem werden und resignieren, geben wir Hass und Intoleranz den Raum, sich noch weiter zu verbreiten. Ich habe mich damals vor Jahrzehnten schon dafür engagiert, dass unsere Kulturlandschaft noch vielfältiger werden muss, fand in den ersten Jahren jedoch nur wenig Gehör bei Entscheidern, dafür aber viel Gleichgültigkeit. Als Bonner bin ich mir einer selbstverständlich diversen Gesellschaft aufgewachsen, wo ein Zusammenleben unterschiedlichster Menschen einfach funktioniert hatte. Wir hatten zusammen gelebt, gelernt, gearbeitet und gefeiert, ohne dass dauernd über Herkunft und Hautfarbe gesprochen wurde. Wir waren ein Wir. Dieses ideale Gesellschaftsmodell, was ich 20 Jahre selbst erlebt hatte, ist heute für viele deutsche Menschen nicht vorstellbar. Sie sehen Menschen mit Migrationsvordergrund oder geflüchtete Menschen in den Nachrichten nur in Negativzusammenhängen wie Gewaltverbrechen und Kriminalstatistiken. Die positiven Beispiele fehlen jedoch. Und wenn sie diese „guten Migranten“ aus ihrem eigenen Umfeld nicht kennen und sie in den Medien auch nur negativ erleben, dann wurde so über Jahrzehnte hinweg ein falsches Bild von uns vermittelt. Kein Wunder also, dass rassistisches und diskriminierendes Denken leider so stark bei uns verbreitet ist.
Wer erzählt heute Geschichten – und wer wird gehört? Welche Rolle spielt Kunst als gesellschaftlicher Spiegel und als Raum des Aushandelns von Zugehörigkeit, Erinnerung und Zukunft?
Die Frage habe ich indirekt auch schon gerade beantwortet, möchte aber noch etwas hinzufügen. Zum Glück haben wir immer mehr junge deutsche Menschen internationaler Geschichte, die Drehbuchautorinnen, Produzentinnen oder Regisseur*innen sind, die nun auch unsere Geschichten in einer Selbstverständlichkeit erzählen und entwickeln, die es so noch nie gab. Ihre Perspektive auf unsere fiktionalen Stoffe ist authentisch, repräsentativ und so wertvoll. Ich hoffe sehr, dass wir da noch viel weiter gehen. Denn wenn es um Vielfalt in Film und Theater geht, sowohl auf der Bühne bzw. vor der Kamera, als auch dahinter, dann haben wir gerade mal 15 Prozent erreicht. Wir sind erst am Anfang. Deswegen darf es da auch keine Rückschritte mehr geben. Fiktionale Geschichten gehen ins Unterbewusstsein von Menschen. Sie erzählen im Idealfall eine funktionierende diverse Gesellschaft, in der Zusammenhalt und Zusammenleben ganz selbstverständlich erzählt werden… im Gegensatz zu Talkshows oder Berichten, in denen nur über Probleme gesprochen wird.
Kommen wir zum Epilog… : Gibt es eine besonders skurrile oder lustige Situation, die Dir im Laufe Deiner Karriere passiert ist?
Am Set von Pastewka IV wurde ich von einem anwesenden Journalisten gefragt, ob ich im echten Leben auch als Hot-Dog-Verkäufer arbeite. Das Gleiche auf einem anderen Set, ob ich wirklich „Arzt“ sei. Und einmal war ich mit einem Film auf der Berlinale und lief über den roten Teppich. Damals war ich noch nicht so bekannt, die Fotografen schauten mich kurz an und statt zu brüllen und mich abzufotografieren, war es bei den Herrschaften still wie ein Schweizer Waldsee. Paar Sekunden später aber fotografierten sie wie wild in meine Richtung. Ich hatte schon Hoffnung, dass sie mich nun doch erkannt hatten, dann jedoch sah ich einen Fotografen, der mich „wegwinken“ wollte.
Da war noch jemand anders…
(lacht) Ja! Ich schaute hinter mich und da stand dann das eigentliche Objekt der Begierde: Berlins damaliger Oberbürgermeister Klaus Wowereit. Er schüttelte mir dann jovial die Hand und ich sagte zu ihm: „Schade, ich dachte schon, die meinten mich.“
Danke für Deine Offenheit und das spannende Gespräch.
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