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Mi., 29. Oktober, 2025
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StartSonderteile25 Jahre theinder.netAnandi Iyer: "Die beste Währung dieser Welt sind Beziehungen"

Anandi Iyer: „Die beste Währung dieser Welt sind Beziehungen“

Picture: (c) A. Iyer
Anandi Iyer, Direktorin des Fraunhofer-Büros Indien und Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, ist eine Schlüsselfigur der deutsch-indischen Wissenschafts- und Innovationsbeziehungen. Im Gespräch mit uns betont sie, dass „Beziehungen die wahre Währung dieser Welt“ seien, und beschreibt, wie sie mit Ausdauer und strategischem Netzwerkaufbau das Konzept der angewandten Forschung in Indien fest verankert hat. In den sich ergänzenden Stärken beider Nationen – von Nachhaltigkeit und Digitalisierung bis hin zur Stärkung von Frauen in MINT-Berufen – sieht sie großes Potenzial und ruft die junge Generation dazu auf, diese neue Ära der Zusammenarbeit mit Herzblut zu gestalten.

Frau Iyer, Sie wurden kürzlich mit dem Bundesverdienstkreuz für Ihre Verdienste um die deutsch-indische Zusammenarbeit ausgezeichnet. Wenn Sie zurückblicken – was waren einige der größten Herausforderungen auf diesem Weg?

Die größten Herausforderungen ergaben sich stets aus meiner Motivation, alte Denkmuster aufzubrechen und innovative Ideen durchzusetzen. Als wir 2018 die Fraunhofer-Aktivitäten in Indien starteten, war das Innovationsökosystem noch recht zersplittert. Der Anteil der F&E-Ausgaben am indischen BIP lag und liegt unter 1%, und es war ungewiss, ob die Industrie bereit wäre, für proprietäre, ausgelagerte Forschung zu zahlen. Doch wir hielten an unserem Glauben an die Wachstumsgeschichte Indiens fest – und das hat sich ausgezahlt. Wir mussten den Gedanken der angewandten Forschung in Indien regelrecht evangelisieren und gemeinsam mit Industrie, Regierung, Wissenschaft und weiteren Akteuren das Innovationssystem in Bewegung setzen. Das Fraunhofer-Modell war in Indien kaum bekannt, also begann alles mit Markenaufbau, Kundengewinnung und Beziehungsmanagement. Und besonders als Frau im Bereich Wissenschaft und Technologie muss man sich jeden Tag aufs Neue beweisen.

Und was waren die lohnendsten Momente?

Es gab viele: Die Unterstützung großartiger Mentoren wie Dr. R. A. Mashelkar, Dr. R. Chidambaram, Prof. Sadagopan und vieler anderer, die Talent anerkannten und mir Türen öffneten. Am lohnendsten war jedoch die Wirkung meiner Arbeit. Wir haben tatsächlich den Mythos widerlegt, dass die indische Industrie nicht bereit sei, für Forschung zu zahlen – in den letzten Jahren haben wir über 70 Millionen Euro erwirtschaftet und eng mit allen Akteuren zusammengearbeitet, um Forschung und Innovation zu beschleunigen. Und natürlich verdanke ich vieles großartigen Kolleginnen und Kollegen in Indien und Deutschland, die inzwischen enge Freunde geworden sind. Ich habe immer geglaubt, dass die beste Währung in dieser Welt Beziehungen sind – und ich bin froh, dass meine Arbeit nicht nur spannend, sondern auch erfüllend und bereichernd war.

Sie haben intensiv an der Schnittstelle von Wissenschaft, Forschung und Politik gearbeitet. Wie würden Sie die wichtigsten Unterschiede – und Überschneidungspunkte – zwischen den Innovationskulturen Deutschlands und Indiens beschreiben?

Es gibt viele Ähnlichkeiten und Unterschiede, doch ich bin überzeugt, dass es sich um eine sehr komplementäre Beziehung handelt, die wir bestmöglich nutzen sollten. In Indien wird Innovation größtenteils durch Dienstleistungsmodelle und Kostenarbitrage angetrieben. In Deutschland hingegen entsteht Innovation aus Deep Tech und Produktentwicklung.

In Indien sind die großen Unternehmen die Treiber der Innovation, während kleine und mittlere Unternehmen (KMU) oft Schwierigkeiten haben, Zugang zu Technologie und Finanzierung zu erhalten. In Deutschland dagegen sind die KMU – der Mittelstand – die eigentlichen Innovationstreiber und Technologieführer.

In Indien gibt es keinen großen Pool an Forschenden, die eine Promotion oder Postdoc-Phase absolvieren – viele zieht es ins Ausland. In Deutschland hingegen stammen fast 30 % unseres intellektuellen Kapitals bei Fraunhofer von jungen Forschenden, die den Status quo hinterfragen, promovieren und anschließend in die Industrie wechseln. Diese Brückenfunktion verbindet Wissenschaft und Wirtschaft sehr eng miteinander.

In Indien fließen mehr staatliche Mittel in die Innovationsförderung, während das deutsche Modell reifer ist: Dort investiert die Industrie etwa 3–4 % ihres Umsatzes in Forschung und Entwicklung. Deutschland verfügt zudem über ein starkes Ökosystem aus Grundlagen-, angewandter und industrienaher Forschung. In Indien sind wir in der Grundlagenforschung hervorragend aufgestellt, doch unsere Kompetenzen und Infrastrukturen für den Transfer von der Forschung in den Markt werden derzeit noch weiterentwickelt.

Ein weiterer entscheidender Faktor ist die Innovationsinfrastruktur. Indien mangelt es bislang an Strukturen für Prototyping, Testung und Validierung im großen Maßstab. Was Indien jedoch im Überfluss besitzt, ist eine junge, qualifizierte Bevölkerung und ein ausgeprägter Unternehmergeist – sichtbar in der lebendigen Start-up-Szene. Hier hat Deutschland Nachholbedarf, um mehr Chancen für Start-ups zu schaffen und seine Risikoaversion abzubauen.

Fraunhofer spielt eine zentrale Rolle beim Aufbau strategischer deutsch-indischer Partnerschaften. Welche aktuellen Kooperationsfelder halten Sie vor dem Hintergrund globaler Herausforderungen wie Nachhaltigkeit und digitaler Transformation für besonders spannend?

Wir arbeiten eng mit mehreren Landesregierungen zusammen, um Innovationscluster in den Bereichen Digitalisierung, Fertigung, erneuerbare Energien und Halbleiter aufzubauen. Erneuerbare Energien gehören dabei zu den stärksten Kooperationsfeldern – etwa in der Solarenergie, Wasserstofftechnologie und Elektromobilität. Ein weiteres strategisches Zukunftsfeld sind Halbleiter und Mikrosysteme. Gemeinsam mit dem Ministerium für Elektronik und Informationstechnologie (MeitY) sowie Branchenverbänden wie der EPIC Foundation, STPI und IESA arbeiten wir daran, den „Lab-to-Fab“-Prozess in Indien zu beschleunigen. Auch hier lassen sich die komplementären Stärken Deutschlands und Indiens hervorragend zum gegenseitigen Nutzen einsetzen. Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit sind zentrale Forschungsthemen bei Fraunhofer. In Indien kooperieren wir mit Unternehmen im Bereich des Wasser-Energie-Nahrungs-Nexus und haben gemeinsam mit Industrie, Zivilgesellschaft und Regierung Wasser-Innovationszentren und nachhaltige Nachbarschaften eingerichtet.

Über die technische Zusammenarbeit hinaus ist kulturelles Verständnis oft der verborgene Schlüssel erfolgreicher Partnerschaften. Was hilft Ihrer Erfahrung nach deutsch-indischen Teams, interkulturelle Missverständnisse zu überwinden?

Auch wenn oft gesagt wird, dass Inder und Deutsche sich ähnlich seien und seit Jahrzehnten eine enge Beziehung pflegen, glaube ich, dass wir in Wahrheit sehr verschieden sind! Auf die Gefahr hin, zu verallgemeinern oder klischeehaft zu klingen, möchte ich einige Unterschiede hervorheben: Indien ist chaotische Kreativität, Deutschland ist strukturierte Ingenieurskunst. Sie sprechen in Monologen, wir in Absätzen. Deutschland ist monochrom, Indien ein Feuerwerk an Farben. Deutsche diskutieren Unterschiede, Inder feiern sie. Doch wir teilen die Werte von Demokratie, Freiheit und Selbstbestimmung. Ich glaube, auf dieser Grundlage gegenseitigen Respekts können wir unsere komplementären Stärken aufbauen. Kommunikation und Erwartungsabgleich sind entscheidend – viele Missverständnisse lösen sich, wenn wir mehr miteinander sprechen, uns öfter begegnen, die Länder mit eigenen Augen erleben und die Unterschiede akzeptieren.

Ich kam vor 30 Jahren zum ersten Mal als junge Studentin der deutschen Sprache nach Deutschland und verliebte mich in dieses Land, seine Geschichte und seine Menschen. Mit der Zeit habe ich Freundschaften geschlossen, die zu Familie geworden sind, und viele Missverständnisse und Vorurteile abgebaut, die auf Hörensagen beruhten. Dasselbe gilt, glaube ich, für viele Deutsche, die Indien persönlich kennengelernt und festgestellt haben, dass ihr Bild von Indien veraltet war – geformt von sekundären Berichten, die dem heutigen, multidimensionalen, pluralistischen und modernen Indien nicht gerecht werden. Wir brauchen mehr dauerhafte Plattformen, um miteinander in Austausch zu treten.

Sie setzen sich seit Langem für die Rolle von Frauen in MINT-Berufen in beiden Ländern ein. Welche strukturellen Unterschiede sehen Sie dabei, und was können beide Länder voneinander lernen?

Ehrlich gesagt, habe ich mir nie viele Gedanken über die Herausforderungen gemacht, eine Frau in den MINT-Fächern zu sein. Ich tue einfach meinen Job – das, was ich liebe. Die Haltung der Männer oder ihre Sicht auf mich spielt in meiner Welt kaum eine Rolle. Als ich jedoch während Indiens G20-Vorsitz den Vorsitz des Netzwerks „Women in STEM“ übernahm, wurde mir bewusst, mit welchen Hindernissen viele Frauen weltweit auf ihrem Weg zu beruflicher Exzellenz konfrontiert sind. Frauen stellen in vielen Ländern, auch in Indien, die Mehrheit der Bevölkerung und sind daher ein entscheidender Teil der Arbeitskräfte – doch die Systeme sind selten förderlich für Frauen, insbesondere nicht in den MINT-Berufen. Mehr als 50 % der Frauen scheiden aufgrund familiärer Fürsorgepflichten aus dem Berufsleben aus. Dieses Phänomen betrifft nicht nur Indien oder den globalen Süden, sondern ist weltweit in unterschiedlichem Maße verbreitet.

Das System muss so kalibriert werden, dass Frauen aktiv beitragen und langfristig im Berufsleben bleiben können. Es gibt viele Lösungen: flexible Arbeitszeiten, wechselnde Rollen im Lauf der Karriere oder Unterstützungsstrukturen, die Gleichberechtigung fördern. Entscheidend ist, dass Männer (und Frauen) in Entscheidungspositionen befähigt werden, über den Tellerrand zu denken und den Stimmen jener zuzuhören, die sonst ungehört bleiben.

Ein weiteres Problem ist die geringe Sichtbarkeit weiblicher Führungspersönlichkeiten. Deshalb haben wir eine Wanderausstellung mit 20 herausragenden Frauen aus Indien und Deutschland in Wissenschaft, Technik und Handwerk initiiert, die im März 2024 im Experiminta-Museum in Frankfurt gezeigt wurde. Es war eine inspirierende Erfahrung, diese Vorbilder zusammenzubringen und die bewegenden Geschichten von Mut und Durchhaltevermögen der Frauen zu hören, die gläserne Decken durchbrochen haben.

Unser Portal feiert 25 Jahre, in denen es deutsch-indische Stimmen miteinander verbindet. Was ist Ihre Botschaft an die junge Generation, die zwischen beiden Kulturen navigiert und die nächste Phase der Beziehungen gestaltet?

Seit vielen Jahren, ja Jahrzehnten, hört man, dass Indien und Deutschland großes Potenzial haben und gemeinsam enorme Werte schaffen können. Doch wirklich umgesetzt wurde das nie! Jetzt ist ein Wendepunkt in unserer gemeinsamen Geschichte! Die Welt befindet sich in einer Phase nie dagewesener Umbrüche, und die globalen Gleichgewichte verändern sich fortlaufend. Mit der wachsenden indischen Diaspora in Deutschland und dem zunehmenden Interesse Deutschlands an Indien tragen wir eine Verantwortung, eine dauerhafte und für beide Seiten lohnende Partnerschaft auf der Basis gemeinsamer Werte zu gestalten – eine Partnerschaft, die den Test der Zeit besteht. Ich bin überzeugt, dass wir an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter unserer Zusammenarbeit stehen und freue mich darauf, wesentlich zu diesem Ziel beizutragen.

Und wir freuen uns sehr darauf – vielen Dank.

Bijon Chatterji
Bijon Chatterji
Bijon Chatterji (*1978) ist Mitbegründer und Chefredakteur von theinder.net. Nach dem Biologiestudium in Braunschweig promovierte und forschte er rund zehn Jahre in Hannover, bevor er in die Industrie wechselte. Seit über einem Jahrzehnt ist er in globaler Verantwortung für Biotechnologieunternehmen tätig, u.a. mit besonderem Fokus auf Indien. Von 2012 bis 2016 war er Mitglied der Auswahlkommission des Programms "Deutsch-Indisches Klassenzimmer" der Robert Bosch Stiftung und des Goethe-Instituts Neu-Delhi. Seit 2018 ist er Mitorganisator des "Hanseatic India Colloquium" in Hamburg, referierte u. a. am IIT Bombay und nimmt seit 2023 auf Einladung der Bundesintegrationsbeauftragten an Dialoggesprächen im Bundeskanzleramt teil.

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