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Di., 8. Juli, 2025
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Indien zwischen Wachstum und Wunschdenken: kritische Einordnung der Helaba-Analyse

(bc) Die Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) veröffentlichte am 27. Mai 2025 eine aktuelle Länderanalyse mit dem Titel „Indien: Neugestaltung der Handelsbeziehungen“ . Darin beleuchtet sie in durchaus bemerkenswerter Detailtiefe die makroökonomischen Perspektiven Indiens, insbesondere vor dem Hintergrund der jüngsten globalen handelspolitischen Spannungen. Im Zentrum stehen die Auswirkungen der erratischen US-Zollpolitik, die Rolle Indiens als aufstrebende Volkswirtschaft sowie die geld- und außenwirtschaftspolitischen Reaktionen der indischen Regierung.

Die Kernaussage: Indien bleibt trotz geopolitischer Unsicherheiten und protektionistischer Tendenzen ein wirtschaftlich stabiles und attraktives Wachstumsziel – möglicherweise sogar ein Profiteur neuer globaler Handelsumlenkungen. Für das Fiskaljahr 2024/25 rechnet die Helaba mit einem BIP-Wachstum von 6,5 %. Die robusten Einkaufsmanagerindizes, ein stabiler Binnenmarkt, sinkende Inflationsraten und eine strategisch agierende Zentralbank gelten als Hauptsäulen dieser Prognose. Auch die Bemühungen Indiens, neue Handelsabkommen – unter anderem mit den USA und dem Vereinigten Königreich – abzuschließen, werden als Belege für wirtschaftspolitische Weitsicht und Anpassungsfähigkeit gewertet.

Datengrundlage solide, Argumentation klar

Die Analyse besticht zunächst durch methodische Sorgfalt und eine gut abgestimmte Kombination aus makroökonomischen Kennzahlen, politischer Einordnung und globalem Kontext. Sie stützt sich auf renommierte Quellen wie die Weltbank, Macrobond und den Internationalen Währungsfonds (IWF) und formuliert ihre Thesen mit hoher Stringenz. Besonders die Differenzierung zwischen Binnen- und Außenwirtschaft ist gelungen: Während viele Schwellenländer stark exportabhängig sind, zeigt die Helaba, dass Indiens Exportquote mit rund 20 % vergleichsweise niedrig ist – was die Resilienz gegenüber globalen Schocks erhöht .

Auch der geldpolitische Teil überzeugt. Die indische Zentralbank (RBI) hat nach Jahren restriktiver Zinspolitik angesichts fallender Inflationsraten begonnen, die Zinsen moderat zu senken. Die Analyse erkennt dieses geldpolitische Fenster und verknüpft es sinnvoll mit Konjunkturprognosen und Investitionschancen. Dass die Inflationsrate im April auf 3,2 % fiel – den niedrigsten Stand seit fast sechs Jahren – wird zu Recht als makroökonomische Chance interpretiert .

Besonders differenziert wird das Handelsverhältnis zu den USA eingeordnet. Indien exportierte 2024 Waren im Wert von über 80 Milliarden US-Dollar in die Vereinigten Staaten, während die US-Ausfuhren bei rund 40 Milliarden lagen. Dieses asymmetrische Verhältnis führte zu wachsendem politischem Druck seitens der US-Regierung, insbesondere unter Präsident Trump, der einen 26-prozentigen Zoll für indische Waren ankündigte – später modifiziert durch eine 90-tägige Gnadenfrist mit pauschalem 10%-Zollsatz. Die Helaba bewertet die direkten ökonomischen Auswirkungen dieser Zölle als begrenzt und verweist darauf, dass Indiens Exporte in die USA stark durch pharmazeutische Produkte geprägt sind – die bislang von Zöllen ausgenommen sind .

Eine doch zu optimistische Analyse?

Trotz dieser analytischen Stärken bleibt ein Nachgeschmack: Das positive Gesamtnarrativ dominiert fast schon zu deutlich, dass kritische Risikofaktoren in den Hintergrund gedrängt werden. Die Schwächen der Analyse liegen nicht in der Auswahl der Daten oder der Struktur der Argumente – sondern in deren Gewichtung:

Geopolitische Risiken wie der anhaltende Kaschmir-Konflikt mit Pakistan werden zwar erwähnt, aber in ihrer wirtschaftlichen Relevanz heruntergespielt. Die jüngste Eskalation mit über 20 Toten und beiderseitigen Luftangriffen wird zwar erwähnt, jedoch mit dem Verweis auf eine „gehaltene Waffenruhe“ und die Erwartung, dass sich daraus keine spürbaren ökonomischen Folgen ergeben. Das ist eine optimistische Interpretation – angesichts der Unberechenbarkeit bilateraler Spannungen und der Tatsache, dass Indien und Pakistan beide Nuklearmächte sind, erscheint dies als verfrühte Entwarnung.

Auch die Risiken der US-Zollpolitik werden möglicherweise verharmlost. Die Annahme, dass sich persönliche Beziehungen zwischen Modi und Trump in substanzielle wirtschaftspolitische Entspannung übersetzen lassen, ist bestenfalls spekulativ. Handelsabkommen unterliegen komplexen Interessenlagen und sind in einem Umfeld zunehmender Deglobalisierung und strategischer Entkopplung (insbesondere im Tech-Bereich) keineswegs planbar. Dennoch formuliert die Helaba das Zustandekommen eines bilateralen Freihandelsabkommens zwischen Indien und den USA in einer Weise, die fast zwangsläufig erscheint.

Strukturelle Herausforderungen Indiens – wie infrastrukturelle Defizite, Arbeitslosigkeit im informellen Sektor, Rechtsunsicherheit oder Umweltprobleme – werden in der Analyse weitgehend ausgeblendet. Diese Aspekte sind jedoch entscheidend für mittel- bis langfristige Investitionsentscheidungen. Gerade für institutionelle Anleger, die auf Stabilität und Risikodiversifikation achten, fehlt an dieser Stelle eine ausgewogenere Darstellung.

Interessenlage: Analyse als strategisches Kommunikationsinstrument

Hinzu kommt ein Aspekt, der bei der Einordnung nicht ignoriert werden darf: Die Helaba ist keine neutrale Forschungseinrichtung, sondern eine wirtschaftlich agierende Landesbank mit vielfältigen Interessen in der Unternehmensfinanzierung, Exportabsicherung und Kapitalanlage. Es ist daher naheliegend, dass die Bank mit ihrer Länderanalyse nicht nur informieren, sondern auch Marktstimmung erzeugen will – zugunsten von Investitionen, Engagements oder Finanzierungen mit Indien-Bezug.

Diese Interessengebundenheit ist nicht illegitim – sie ist sogar typisch für das Genre der bankengetriebenen Wirtschaftsanalysen. Allerdings entsteht dadurch ein Bias: Die Darstellung Indiens als weitgehend stabiler Wachstumsmarkt mit überschaubaren Risiken und großem strategischem Potenzial könnte potenziellen Anlegern ein Bild vermitteln, das nicht alle Facetten abbildet – insbesondere nicht die Volatilitäten, die mit Entwicklungs- und Schwellenländern strukturell verbunden sind.

Die Helaba gibt in ihrem Disclaimer zwar korrekt an, dass die Analyse keine Anlageberatung darstellt und keine Gewähr für Vollständigkeit oder Richtigkeit übernommen wird. Doch auch ohne direkte Handlungsempfehlung entfaltet die Tonalität der Analyse eine gewisse suggestive Kraft, insbesondere gegenüber Kunden mit geringerem eigenem Research-Background.

Fundiert, aber zu glatt – und nicht ganz unabhängig

Die Helaba legt mit ihrer Länderanalyse ein solides, faktenbasiertes und methodisch überzeugendes Stück makroökonomischer Einschätzung vor. Es ist geeignet, Investoren, Unternehmen und Institutionen einen informierten ersten Überblick zur wirtschaftlichen Lage Indiens zu geben. Gleichzeitig ist der Bericht ein Beispiel für die Grenzen von Bank-Research, wenn es um vollständige Risikotransparenz geht.

Denn trotz hoher Professionalität bleibt die Analyse deutlich optimistischer als notwendig – und blendet kritische Aspekte zugunsten eines strategischen Narrativs aus. Anleger und Entscheidungsträger tun gut daran, diese Perspektive mit weiteren, unabhängigen Quellen zu ergänzen und sich ein differenzierteres Bild vom Investitionsstandort Indien zu machen – jenseits der blendenden Schlaglichter des Wachstumsnarrativs.

Quelle: Helaba Research & Advisory: Indien – Neugestaltung der Handelsbeziehungen, Länderfokus vom 27. Mai 2025

Foto: (c) Rushikesh Patil, unsplash.com

Bijon Chatterji
Bijon Chatterji
Bijon Chatterji (*1978) ist Mitbegründer und Chefredakteur von theinder.net. Er studierte Biologie in Braunschweig, promovierte, forschte und lehrte in Hannover. Heute ist er als Global Lead für ein Biotechnologieunternehmen tätig und verantwortet dort u.a. den Bereich Indien. Von 2012-16 war Bijon Mitglied der Auswahlkommission für das "Deutsch-Indische Klassenzimmer" (Robert Bosch Stiftung / Goethe-Institut). Seit 2018 ist er Mitorganisator des "Hanseatic India Colloquium" und nahm 2023 auf Einladung der Bundesintegrationsbeauftragten erstmals an Dialoggesprächen im Bundeskanzleramt teil.

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