
Zum ersten Todestag des Journalisten und Indienexperten
Am 21. Mai 2024 verstarb der langjährige Journalist, Indienkorrespondent und geschätzte Kollege Rainer Hörig in seinem Haus in Bonn – plötzlich und für viele überraschend, obwohl er schon länger schwer erkrankt war. Heute, ein Jahr später, erinnern wir uns mit großer Dankbarkeit an einen Menschen, der wie kaum ein anderer den deutsch-indischen Dialog geprägt hat – und der uns 2020 ein ganz besonderes Interview schenkte.
Rainer Hörig, Jahrgang 1956, war vieles: ein sensibler Beobachter, ein mutiger Reporter, ein kluger Analytiker – und zugleich ein leidenschaftlicher Indienvermittler mit einem großen Herzen. Bereits in den 1970er-Jahren reiste er erstmals nach Indien, später lebte er über 30 Jahre mit seiner Frau Rajashree Tirumalai-Hörig und Tochter Vanessa in Pune. Die Entscheidung, nach Indien auszuwandern, war für ihn keine journalistische Pose, sondern gelebte Konsequenz aus einem tiefen Interesse und echter Verbundenheit.
„Ein Europäer, der Indien besucht, lernt eine andere Welt kennen“, sagte er einmal. In unserem Interview erinnerte er sich an eine Geste, die ihn nie losließ: Ein Taxifahrer in Mumbai, der mit seiner Familie in einer 3×3 Meter kleinen Slumhütte lebte, lud ihn spontan ein und reichte ihm stolz eine Tasse Tee. Für Hörig war das kein Einzelfall, sondern Ausdruck einer Menschlichkeit, die ihn tief berührte – und die er in seinen Arbeiten immer wieder sichtbar machte.
Seine journalistische Laufbahn war geprägt von einem klaren ethischen Kompass. Ob für den Deutschlandfunk, die Deutsche Welle, den WDR, taz, Le Monde, die Frankfurter Rundschau, die Heinrich Böll Stiftung oder Welt-Sichten – Hörig berichtete aus Indien jenseits der Klischees. Er schrieb über Menschen, nicht über Schlagzeilen. Über Frauen in Recycling-Kooperativen, über Adivasi im Kampf gegen Vertreibung, über spirituelle Pilgerwege und politische Kämpfe. Dabei ging es ihm nie um Folklore, sondern um Gerechtigkeit, Würde und Empathie.
In seinen Büchern („Indien verstehen“, „Hinduismus verstehen“, „Das Naturverständnis des Hinduismus“ u.v.m.) vermittelte er auch komplexe Themen mit einer selten gewordenen Klarheit. Als Redakteur und Mitgestalter von Magazinen setzte er sich unermüdlich für interkulturelle Verständigung ein. Sein Wunsch war immer, Menschen ins Gespräch zu bringen. Noch 2020 sagte er über die Zeitschrift MEINE WELT, die er zuletzt redaktionell verantwortete: „Wir sollten den Titel ändern in UNSERE Welt. Ich arbeite daran, sie zu einem Forum des Austauschs zu machen“.
Auch politische Entwicklungen in Indien verfolgte er mit zunehmender Sorge. Die Einschränkung der Pressefreiheit, der wachsende Druck auf Minderheiten und Journalist*innen – all das beobachtete er kritisch und offen, auch auf Kosten seiner eigenen journalistischen Sicherheit. Seine Rückkehr nach Deutschland im Jahr 2018 war nicht nur gesundheitlich motiviert, sondern auch Ausdruck eines zunehmenden Unbehagens: „Ich fühle mich nicht mehr frei, meine Meinung zu äußern“, sagte er.
Für sein Lebenswerk wurde Rainer Hörig vielfach ausgezeichnet, zuletzt 2014 mit dem Gisela-Bonn-Preis für seine Verdienste um die deutsch-indischen Beziehungen. Doch Auszeichnungen waren ihm nie wichtig. Was zählte, war der Dialog – das gegenseitige Verstehen.
Am meisten hat ihn vielleicht ein Satz berührt, den ihm ein Bauer beim Kumbh-Mela-Fest sagte: „Wissen Sie, es ist gar nicht wichtig, welche Gottheit Sie oder ich verehren. Wichtig ist, dass wir überhaupt an etwas glauben. Im Grunde sind doch alle Religionen gleich“.
So schlicht – und so wahr. Rainer Hörig hat versucht, diese Haltung vorzuleben.
Ein Jahr nach seinem Tod bleibt eine große Lücke – journalistisch, menschlich, kulturell. Aber es bleibt auch viel: Texte, Stimmen, Erinnerungen. Und eine Botschaft, die aktueller ist denn je: Brücken bauen, zuhören, sich interessieren.
Die Redaktion von theinder.net
Danke lieber Rainer Hörig, dass Sie uns Indien nähergebracht und ein stückweit erklärt haben. Ich bin sehr traurig, leben Sie wohl.