
Jhumpa Lahiris Roman Das Tiefland (Originaltitel: The Lowland), erschienen 2014 bei Rowohlt in der deutschen Übersetzung von Gertraude Krüger, ist eine epische Erkundung von Familie, Exil und politischen Umbrüchen. Mit feinsinnigem Gespür für die Innenwelten ihrer Figuren entfaltet Lahiri eine berührende Geschichte zweier Brüder, deren Lebenswege durch Ideologien, geografische Entfernungen und tragische Entscheidungen auseinandergerissen werden.
Der Roman beginnt im Kalkutta der 1950er Jahre, wo die unzertrennlichen Brüder Subhash und Udayan Mitra aufwachsen. Trotz ihrer engen Bindung sind sie grundverschieden: Während Subhash sich als verantwortungsbewusster, pflichtbewusster Intellektueller in die USA absetzt, um dort eine akademische Karriere zu verfolgen, verfällt Udayan den revolutionären Idealen der maoistisch geprägten Naxaliten-Bewegung. Sein Engagement führt ihn schließlich in den Untergrund – und in den Tod. Subhash kehrt nach Indien zurück, heiratet die schwangere Witwe seines Bruders und bringt sie mit in die USA, wo beide versuchen, in der Fremde eine neue Existenz aufzubauen. Doch Lahiri zeigt eindrücklich, dass Exil nicht nur eine geografische, sondern auch eine existenzielle Erfahrung ist: Die Protagonisten bleiben Gefangene ihrer Vergangenheit, ihrer Verluste und der kulturellen Entwurzelung.
Die Kritiken zu Das Tiefland sind vielfältig, aber durchweg anerkennend. Irene Binal (Neue Zürcher Zeitung) beschreibt den Roman als „vielstimmige Sinfonie des Unglücks“ und lobt Lahiris schmucklose Prosa, die dennoch mit tiefem emotionalem Gehalt aufgeladen ist. Auch Hans-Peter Kunisch (Süddeutsche Zeitung) hebt die psychologische Tiefe des Romans hervor und betont, wie geschickt Lahiri die verinnerlichten Verhaltensregeln ihrer Figuren in alltäglichen Momenten herausarbeitet. Thomas E. Schmidt (Die Zeit) hingegen kritisiert eine gewisse Schematisierung der Charaktere und sieht in der weiblichen Hauptfigur Gauri die wahre Rettung des Romans, da sie sich am ehesten den erzählerischen Mustern entzieht.
Besonders hervorzuheben ist Lahiris meisterhafte Schilderung des Fremdseins – sowohl im eigenen Land als auch in der neuen Heimat. Katharina Granzin (taz) sieht in Das Tiefland die thematische Kulmination von Lahiris bisherigen Werken und lobt die kunstvolle Verflechtung der verschiedenen Erzählstränge. Susanne Lenz (Frankfurter Rundschau) wiederum betont, dass der Roman das Scheitern nicht als Ende, sondern als existenzielle Erfahrung begreift, die Lahiri mit außergewöhnlicher Einfühlsamkeit darstellt.
Das Tiefland ist ein leises, aber intensives Werk, das politische Geschichte mit persönlichen Schicksalen verbindet und die Leser mit seinem feinen Gespür für menschliche Abgründe und Zwiespältigkeiten in den Bann zieht. Lahiri besticht durch eine klare, unspektakuläre Sprache, die die emotionale Wucht der Erzählung umso eindringlicher macht. Ein großer Roman über Verluste, Zugehörigkeit und die Unmöglichkeit, sich der eigenen Vergangenheit zu entziehen.