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Sa, 27. Juli, 2024
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Rabindranath Tagore – ein außergewöhnlicher Schriftsteller

Tagore ca. 1909
Von Julia T. Scho. Der Dichter und Denker Rabindranath Tagore (Rabindranath Thakur) hat wie kaum ein anderer das kulturelle Leben Indiens nachhaltig beeinflusst. Geboren im Jahre 1861 in Kolkata, wuchs Tagore als Nesthäkchen einer brahmanisch-hinduistischen Großfamilie auf. Schon sein Großvater Dwarkanath setzte sich für die Kultur und Bildung ein und genoss in der bengalischen Gesellschaft hohes Ansehen.

Sein Vater hingegen widmete sich eher der Religion. Inspiriert wurde Tagore vor allem von seinen Geschwistern, insbesondere durch seinen Bruder Dwijendranath, ein Philosoph und Lyriker. Seine Erziehung war durch die indische Tradition und durch die westliche Welt geprägt. Er erwarb Sanskrit-Kenntnisse, hatte aber auch ein Verständnis für islamische Traditionen und persische Literatur. Daher ist es nicht erstaunlich, dass Tagore später in seinen Werken versuchte, die verschiedenen Religionen und Kulturen miteinander zu verbinden.

Dennoch war die Schule für ihn eher Qual als Freude und so brach er schon mit 14 Jahren seine Ausbildung ab. Wenig später wurde er mit einem seiner Brüder nach England zum Jurastudium geschickt. Er schloss sein Studium zwar nicht ab und kehrte auch schon nach 17 Monaten zurück nach Indien, doch hatte ihm die westliche Kultur genug Impetus für seine späteren lyrischen und musikalischen Werke geliefert. Seine Arbeiten wurden eine Synthese aus beiden Welten.
Mit seinen Gedichten und Dramen revolutionierte er die bengalische Bühnenkunst. Innerhalb von neun Jahren schrieb Tagore neun Dramen. Das besondere an diesen Stücken war, dass die weiblichen Rollen auch von Frauen gespielt wurden, was in der damalige Zeit nicht üblich war.
Seit seinem 16. Lebensjahr schrieb Tagore Gedichte, Dramen, Kurzgeschichten oder Romane, die auch publiziert wurden. Er schuf eine neue literarische Gattung, die bengalische Novelle, in der das bäuerliche Leben und die Armut, sowie soziale Missstände thematisiert wurden. In zahlreichen non-fiktionalen Texten betrachtete der Dichter philosophische, soziale, politische oder historische Themen. Er wurde neben Gandhi zu einem der großen Denker des 20. Jahrhunderts.
Private Schicksalsschläge ließen den Literaten reifen und er wurde sogar Vizepräsident der Bengalischen Literaturakademie.
Während einer Reise in die USA und England im Jahre 1912 traf er mit einer Reihe bekannter Intellektuellen, wie Butler Yeats zusammen. Bis dahin waren die Werke Tagores der westlichen Welt eher unbekannt, nun aber übersetzte er einige seiner Gedichte ins Englische. Yeats selber sorgte für die Herausgabe von Tagores Gedichtband „Gitanjali“. Bald folgten zwei weitere Übersetzungen seiner Werke. Auch wenn die westlichen Rezipienten durchaus von Tagore beeindruckt waren, wurde er klischeehaft interpretiert. Er galt als ein Mystiker aus dem fernen Osten. Während seiner Reise, die auch seiner Erholung dienen sollte, erfuhr er im November 1913, dass er den Nobelpreis für Literatur für seinen Gedichtband „Gitanjali“ erhalten sollte.
„Für die tiefgründende, hochgesinnte Natur, die Schönheit und Frische seiner Dichtung, die sein Genie so großartig im englischen Gewand in die schöne Literatur des Abendlandes einzuverleiben verstand“, begründete damals das Literaturkomitee der Schwedischen Akademie der Schönen Künste ihre Entscheidung. In Indien brachte ihm dieser Preis ein hohes Ansehen ein, denn zum ersten Mal erhielt ein Inder den Nobelpreis für Literatur.
In der Folgezeit wurden seine Schriften auch in andere Sprachen übersetzt, unter anderem ins Deutsche. Von den deutschen Dichterkollegen erntete Tagore wenig Lob oder gar keine Resonanz. Er bereiste weiter die Welt und schrieb unter anderem zwei größere Romane, Gedichte und Dramen.
Doch er revolutionierte nicht nur die indische Kultur der Moderne, sondern sorgte für gesellschaftliche Verbesserungen in den unterentwickelten ländlichen Regionen. Er half, indem er Schulen, Krankenhäuser und Banken gründete und die Infrastruktur verbesserte. Seine Bemühungen die Lebenswirklichkeit für die Menschen zu verbessern, sind auch heute noch Vorbild für die moderne Entwicklungshilfe.
Er schuf in Shantiniketan eine neue Schulform, in der sich das Bildungsideal an dem hinduistischen Brahmacharya-Ideal orientierte. Hier lebten und lernten die Schüler zusammen mit ihrem Lehrer. Später wurde diese Schule zur Universität ausgebaut.
Die Visva-Bharati war als eine Begegnungsstätte zwischen westlichen und östlichen Wissenschaftlern angedacht und zahlreiche westliche Gelehrte unterrichteten dort. Zur Universität gehört ebenfalls eine Schule, das Patha-Bhavana, ein alternatives Schulprojekt, das besonderen Wert auf die Entwicklung der Kreativität seiner Schüler legt. Zu den Schülern und Studierenden der Vergangenheit gehören unter anderem Berühmtheiten wie Indira Gandhi oder der bengalische Filmemacher Satyajit Ray.
Ray, der für seine gesellschaftskritischen Filme bekannt ist, griff bei seinen Filmvorlagen oft auf Texte Tagores zurück. So auch in dem Episodenfilm „Teen Kanya“ (Drei Töchter) aus dem Jahr 1961, bei dem Ray eine Kurzgeschichte Tagores verfilmte.
Bei einem weiteren Film „Ghare Baire“ (Das Heim und die Welt) von 1984 handelt es sich um eine Verfilmung eines gleichnamigen Tagore Romans. Hier geht es um die Teilung Bengalens und die Protestbewegung „Swadeshi“, die ausländische Waren boykottierte und der Tagore selber auch angehörte. Darüber hinaus wird in diesem Film die Wandlung einer zurückgezogenen Parda-Frau hin zu einem modernen und selbstbewussten Individuum beschrieben.
Politisch wurde der Schriftsteller nur hin und wieder aktiv. Seit 1884 beteiligte er sich unter dem Einfluss seines Vaters in der Brahmo-Bewegung. Diese war von westlich-aufklärerischen Ideen geprägt.
Während der politischen Unruhen in Bengalen Anfang des 20. Jahrhunderts beteiligte sich Tagore an der Bewegung der indischen Nationalisten und schrieb auch ein Protestlied gegen die Teilung Bengalens durch den Vizekönig von Indien, Lord Curzon.
Im Jahre 1911 verfasste er ein Gedicht auf Bitten eines Freundes aus Anlass des Besuchs des britischen Königs George V. Die Kolonialherren hielten es für eine Hymne an ihren König, Tagore hingegen verstand unter „Bharat Bhagya Vidhata“ den schicksalslenkenden Gott Indiens. Die ersten fünf Strophen des Gedichts wurden 1950 zur Nationalhymne Indiens und auch später Bangladeshs. Der Dichter lehnte den Kolonialismus entschieden ab, doch sprach er sich auch für einen besonnen Umgang mit den Briten aus.
Ein weiteres Mal wurde er politisch aktiv, als er im Jahre 1915 den Adelstitel von König George V. verliehen bekam, ihn jedoch schon vier Jahre später aus Protest gegen das Amritsar-Massaker wieder zurückgab. Dieses Massaker wurde im April 1919 in der nordindischen Stadt Amritsar von englischen Soldaten und Gurkhas an Sikhs, Muslimen und Hindus verübt, die für die Unabhängigkeit Indiens protestiert hatten. Nicht erstaunlich, dass Tagore unter diesen Umständen seinen Adelstitel wieder zurückgab.
Rabindranath Tagore starb 1941 nach schwerer Krankheit und einer fehlgeschlagenen Operation. Er war ein Literat, ein Denker, jemand der sich für Gedankenfreiheit und multikulturelle Erziehung einsetzte und einen kritischen Blick auf die Probleme der Zeit richtete und damit nachhaltig die Literatur und das soziale Leben beeinflusste.
Er entwickelte den bengalischen Sprachschatz entscheidend weiter. Noch heute werden seine Schulbücher im Lehralltag verwendet. Seine literarischen Texte bleiben durch Theateraufführungen, Radio oder Verfilmungen in Erinnerung.
In der westlichen Welt ist Tagore als Literatur-Nobelpreisträger bekannt und seine Werke werden vermehrt ins Englische übersetzt, so dass die Zahl seiner Rezipienten wächst. Sein literarisches Erbe wird durch das „Rabindra-Bhavan“, in dem Archiv, Bibliothek, Museum und eine Gemälde- und Fotoabteilung untergebracht sind, verwaltet. So bleibt Tagores geistiges Erbe stets präsent.

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