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Sa, 27. Juli, 2024
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Susheela Raman: „Ich hasse den Begriff Weltmusik“

Sängerin Susheela Raman ist gefeierter Star der Jazz- und Weltmusikszene. Noch im letzten Jahr präsentierte sie ihr mehr als gelungenes Album „Music for Crocodiles“ vor vollem Hause des Kölner Stadtgartens. Susheela Raman ist steig unterwegs, bastelt an neuen Projekten, entwickelt sich und ihre Musik weiter. Musikredakteur Manoj Kallupurackal traf eine beeindruckende Frau mit einer selbstverständlich noch beeindruckenderen Stimme.
Susheela, was hältst du eigentlich von Deutschland und den Menschen, die du bis jetzt hier getroffen hast?
Also, ehrlich gesagt war ich eigentlich noch gar nicht so oft hier. Ich meine, ich habe vor zehn Tagen einmal in Köln gespielt und deshalb denke ich, dass das hier wirklich erst der Anfang ist. Es ist das erste Mal, dass wir hier einen Promoter haben. Ich denke, es ist wirklich zu früh dazu was zu sagen.
Okay. Du wurdest in London geboren, bist in Australien aufgewachsen und hast sogar für ein paar Jahre in Indien studiert. Also, welches Land oder welche Stadt würdest du als deine Heimat bezeichnen? Und gibt es irgendeinen Platz wo du dich 100% wohl fühlst oder das Gefühl hast dorthin zu gehören?
Das ist schwer zu sagen. Ich bin ziemlich englisch … weil ich in England geboren wurde und einen sehr englischen Lebensstil habe. Aber zur selben Zeit weiß ich auch, dass es Dinge gibt, die in der englischen Gesellschaft fehlen, die man in Indien hat. Ich glaube, es ist nirgendwo wirklich perfekt. Ich denke, du schaffst dir irgendwie ein Zuhause durch Menschen.Was magst du überhaupt nicht an Indien?

Ich hasse wirklich die Korruption in Indien. Das ist einfach fürchterlich … wie z.B. die Kommunalregierungen. Ich weiß das, weil meine Eltern nach Tamil Nadu gezogen sind. Sie sind so desillusioniert über die Gemeindeverwaltung. Die sind wie eine Gruppe von Verbrechern und dann haben sie so genannte “demokratische Wahlen” und eine andere Gruppe von Verbrechern übernimmt das Ruder.

Und die andere Sache, mit der ich mich in Indien nie wirklich anfreunden konnte, war die BJP und die BHP. Ich glaube, dass war eine wirklich üble und dunkle Periode für Indien. Aber ich glaube, dass die jetzige Regierung auf jeden Fall in die richtige Richtung geht und deswegen finde ich die Fortschritte, die sie machen und die neuen Programme, die sie starten gut.

Was ist deine bevorzugte Umgebung zum Schreiben von Songs?

So viele verschiedene Orte eigentlich. Ich liebe Naturlandschaften. Wir waren letzte Woche im deutschsprachigen Teil der Schweiz, in der Nähe von Zürich in einem Ort namens Stanz. Das war sehr inspirierend … Berge, schneebedeckte Landschaften, Seen, Flüsse. Nächste Woche fliege ich nach Island. Darauf freue ich mich schon genauso!

Was sind die Inspirationsquellen für deine Text end worauf basieren deine Songs?

Das variiert. Aber ich glaube, ich versuche immer auf wirkliche menschliche Emotionen zu stoßen und versuche durch mein Schreiben mit tiefersitzenden Gefühlen in Kontakt zu kommen. Beim Schreiben können sich auch viele Themen entwickeln. Wie z.B. das letzte Album, das viele verschiedene Themen hatte. Ein Lied war über den Selbstmord eines guten Freundes und ein anderes Lied über die Suche nach Identität und das Verlorensein in einer Großstadt.

Fast all deine indischen Lieder sind Interpretationen von traditionellen südindischen Liedern. Hast du auch eigene indische Lieder geschrieben?

Ja, in „Salt Rain“ habe ich einen Song in Tamil geschrieben, der Titeltrack wurde. Ich habe noch nicht wieder in Tamil geschrieben, weil ich mich jetzt mehr auf das Schreiben auf Englisch konzentriere. Die Realität ist nämlich so, dass ich mich auf Englisch besser ausdrücken kann als auf Tamil.

Auf deinem letzten Album gibt es sogar ein Lied auf Französisch. Wie kommt es, dass du fließend französisch sprichst?

Meine Verbindung zu Frankreich kommt daher, dass ich mit einer Menge Musiker gearbeitet habe, die aus Frankreich kommen. Eine ganze Reihe von ihnen sind afrikanischen Ursprungs. Bei ihnen habe ich Französisch gelernt. Aber dieser bestimmte Song ist von einem afghanischen Dichter namens Bamak Akhram. Wir sind auf dieses Gedicht gestoßen und waren sehr beeindruckt von seiner Schönheit. Hauptsächlich des Rhythmus wegen, aber auch weil ich die Sprache mochte. Er wurde sehr von sufischer und persischer Dichtung beeinflusst und ich konnte diesen sehr ungewöhnlichen Rhythmus in den französischen Texten hören. Und das war sehr unterschiedlich im Gegensatz zu, sagen wir mal, einem Franzosen, der französisch schreibt. Also, da gab es etwas, was bei mir ein Echo ausgelöst hat, aufgrund meiner eigenen Geschichte. Dieser Typ kam nämlich eigentlich aus Afghanistan und ist mit 13 nach Paris gezogen. Deswegen sind in seinen Texten eine Menge Geschichten, die mich ansprechen.

Was bedeutet dein Albumtitel „Music for Crocodiles“? Bedeutet er, dass man hungrig nach Musik ist?

Da gibt es verschiedene Bedeutungen. Ja, man kann sagen, dass einer davon für Hunger nach Musik steht. Der zweite … also das Lied handelt von … wir waren in Indien und in der Nähe des Hauses meiner Eltern gab es eine Krokodilfarm und in dieser Anlage liegen einfach nur massenweise Krokodile in der Sonne herum. Wir hatten schon eine Art Rhythmus fertig und dieses visuelle Bild war so fremdartig, dass es sofort Klick gemacht hat … oh, das hat was mit dem Rhythmus zu tun an dem wir grade arbeiten und das ist so ein fremder unsymmetrischer Rhythmus, der genau den Bewegungen der Krokodile entspricht, wenn sie laufen.

Aber ein anderer wichtiger Grund ist auch, dass viele Menschen denken, indische Musik sei irgendetwas total Ätherisches … weißt du … wie “oh wir werden jetzt in den Wolken schwimmen gehen” oder so. Und das ist wirklich nicht wahr. Das ist so eine Art verzerrte Idee von Indien. Ich meine, wir haben schon klassische Traditionen und diese sind auch immer sehr schön gewesen und im Grunde genommen sind diese klassischen Traditionen diejenigen, die im Westen im Vordergrund stehen. Und weißt du, wenn die Menschen an indische Musik denken, dann denken sie an klassische nordindische Musik. Aber eigentlich, wenn du noch weiter schaust, dann findest du heraus, dass es da noch eine Menge wirklich grundlegendere Dinge gibt. Etwas sehr Tiefsitzendes und Erdverbundenes. Und Krokodile sind genauso mit der Erde verbunden. Das entspricht ungefähr dem, was meine Musik ist.

Drückst du deine Individualität einfach intuitiv durch deine Musik aus oder planst und komponierst du deine Musik bewusst um authentische Fusionsongs zu schreiben?

Das ist sehr intuitiv! Total intuitiv! Musik folgt deinem Gefühl und deinem Vergnügen.

Was denkst du über den Begriff „Weltmusik“? Welche vorgefassten Meinungen über die Musik von Musikern mit multikulturellem Background würdest du ändern wollen?

Also, ich hasse den Begriff Weltmusik. Ich bin mir sicher, dass Nitin Sawhney das genauso sieht. Das ist wie ein Ghetto und wenn du einmal drin bist, ist es so schwierig da wieder raus zu kommen, weil es fast wie eine Krankheit ist. Es ist fast so als ob Weltmusik bedeutet, dass du keinen Zugang zum Mainstream hast, also wie: du kannst da rüber gehen, da gehörst du hin. Ich denke, wenn man auf einem bestimmten Level ein Genre definiert, dann macht es mehr Sinn, wenn du, sagen wir mal, wie bei wirklich traditioneller Musik aus z.B. dem ländlichen China wo ein Typ auf einer Fiedel spielt, sagst: das ist Weltmusik! Aber ich denke, für Menschen, die in Städten geboren und aufgewachsen sind und die etwas wirklich Grenzüberschreitendes machen und wirklich nach vorne preschen und versuchen ein Statement zu machen, für diese Leute ist es nicht fair sie in diese Kategorie zu stecken. Ich denke nämlich nicht, dass wir zuviel verlangen, wenn wir neben die besten zeitgenössischen Musiker in diesem Land gestellt werden wollen, anstatt in dieser abgelegenen Ecke zu landen.

Gibt es irgendwelche bestimmten Musiker oder Künstler mit denen du in der Zukunft zusammenarbeiten möchtest?

Ich liebe Björk. Ich finde, sie ist eine wundervolle Sängerin. Ich würde wahnsinnig gerne ein Duett mit ihr singen.

Ziehst du es in Erwägung auch andere Kunstrichtungen neben der Musik zu entdecken oder deine Musik mit anderen Formen wie Film, Theater oder sogar Tanz zu kombinieren?

Ja, Ich mache tatsächlich grade ein paar experimentelle Sachen. Eine meiner Freundinnen, eigentlich ist sie Tänzerin, hat vor kurzem mit dem Filmen von Tänzen angefangen. Hauptsächlich weil sie frustriert war, da sie nie gesehen hat, dass es gut gefilmt wurde. Sie hat es nie auf eine Weise präsentiert gesehen wie sie es sehen wollte und das einzige, was sie dagegen tun konnte, war sich eine Kamera zu nehmen. Sie macht ein paar sehr experimentelle Sachen. Wir werden bald ein paar Aufnahmen in Island machen und sie wird hinkommen und uns filmen. Ich weiß zwar nicht, wohin das führen wird aber es ist der Anfang von etwas.

Deine Eltern leben in Tamil Nadu. Interessieren sie sich auch für Musik und was hat sie dazu bewogen, zurück nach Indien zu gehen?

Sie interessieren sich sehr für Musik. Sie sind sehr engagiert in der tamilischen Kultur und ich glaube, sie sind zurückgegangen, weil sie dort aufgewachsen sind. Ich glaube, es ist ihr Zuhause. Eine Menge Leute gehen weg mit dem Traum, du weißt schon … dass sie weg gehen und für eine bestimmte Zeit weg bleiben und dann zurückkommen. Aber dann sind viele nicht dazu in der Lage es so zu machen und ich glaube, dass sie einfach den Entschluss gefasst haben, zu gehen. Und sie sind sehr glücklich.

Was würdest du als eine Art Kosmopolitin jungen Leuten raten, die in einer multikulturellen Gesellschaft aufwachsen und auch denen, die zwischen den Kulturen stehen? Wie können sie ihre eigene Identität entdecken?

Ich denke, das wichtigste ist sich in seiner Haut wohl zu fühlen. Und keine Angst vor Widersprüchen zu haben, weil ich finde, dass es sehr interessante Wege gibt, Widersprüche zwischen den Kulturen zu erforschen. Es entstehen sehr interessante Fragen. Und Kunst ist ein sehr gutes Ventil dafür diese Probleme aufzulösen.

Es gibt wohl kaum ein besseres Schlusswort, danke für das Gespräch!

Foto: (c) Sebastian Arackal

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