
Umeswaran Arunagirinathan (*1978) – Herzchirurg, Bestsellerautor („Grundfarbe Deutsch“) und engagierter Redner – steht für gelebte Resilienz, Menschlichkeit und eine klare Haltung gegen Rassismus. Als unbegleiteter Jugendlicher floh er aus dem Bürgerkrieg in Sri Lanka nach Deutschland, geprägt von Angst, Verlust und ständiger Abschiebebedrohung. Heute nutzt „Umes“ seine Geschichte, um Brücken zu bauen – zwischen Herkunft und Ankommen, zwischen medizinischer Verantwortung und gesellschaftlichem Engagement. Mit klarem Blick und viel Empathie setzt er sich für Teilhabe, sprachliche Integration und eine offene Demokratie ein – und zeigt, dass der wirksamste Weg gegen Rassismus der Dialog ist.
Umes, Deine persönliche Geschichte – von ärmlichen Verhältnissen in Sri Lanka, dem Verlust deiner Schwester, Flucht, Abschiebungsängste – ist tief berührend. Wie hat dich dieses Schicksal geprägt – und in welchem Moment hast du erstmals gespürt: „Ich glaube wirklich an mich und meine Fähigkeiten“?
Ich bin oft im Leben gestolpert und am Anfang tat es sehr weh. Besonders als Kind im Bürgerkrieg auf Sri Lanka war ich sehr traurig und hatte oft Angst sterben zu müssen. Jedesmal, wenn ich die Flucht und die Angriffe von den Regierungssoldaten überlebt habe, wurde ich „kriegserwachsen“.
Der Bürgerkrieg hat mich also sehr geprägt und rückblickend war es eine gute Vorbereitung für die Flucht über drei Kontinente, und die nicht schönen Erlebnisse waren dann bei der Flucht nicht so schlimm wie das Überleben im Bürgerkrieg. Jedes Mal, wenn ich eben gestolpert und wieder auf die Beine kam, glaubte ich an mich und meine Fähigkeiten. Auch heute noch als erwachsener deutscher Staatsbürger.
Du wurdest genauer gesagt als 13‑jähriger unbegleiteter Flüchtling nach Deutschland gebracht und warst ständig von Abschiebeangst begleitet. Wie hast du damals den Mut gefunden weiterzumachen und welchen Rat würdest Du Jugendlichen heute geben?
Ich hatte oft Zweifel daran, ob ich die Angst vor einer Abschiebung überwinden kann. Einmal stand ich sogar im elften Stock auf einem Hochhaus und dachte daran, mich befreien zu wollen. Und dann habe ich an dem Moment an meine Mamma gedacht, die aufopferungsvoll dafür gekämpft hat, dass ich ein besseres Leben habe und so viel Hoffnung in mir gesehen hat. Deswegen erzähle ich heute den Jugendlichen, dass wenn es ihnen schlecht geht, sie an mich und an meine Geschichte denken sollen und ich sage ihnen: „Was ich geschafft habe, das schafft ihr auch!“
Als Herzchirurg, Bestsellerautor und Redner bist du Teil verschiedener Bereiche unserer Gesellschaft: Medizin, Literatur, zivilgesellschaftliches Engagement. Wie vereinbarst du diese Rollen – und was treibt dich jeweils am meisten an?
Ich bin ein Wesen, das keinen Stillstand mag! Ich bin gern in Bewegung. Ich ärgere mich oft über Dinge im Leben und es wäre so traurig, wenn die Energie, die dabei aus mir freigesetzt wird, verloren ginge. Ich nutze die Energie als treibende Kraft, um der Gesellschaft einen Impuls geben zu können. Jedes meiner Bücher hat einen Impuls, um unsere Gesellschaft besser zu machen. Die Begegnung und der daraus resultierende Dialog mit unserer Gesellschaft ist die treibende Kraft für mein Handeln.
Das bringt mich zu Deinem Buch „Grundfarbe Deutsch“. Du sprichst du davon, dass du bewusst „dorthin gehst, wo die Rassisten sind“. Welche Begegnung oder Situation hat dich besonders geprägt und warum?
Der Dialog ist das Mittel gegen Rassismus. Also macht es Sinn, dorthin zu gehen, wo die Rassisten sind, um mit ihnen einen Dialog aufzubauen. Es ist sicher nicht so leicht, wie man sich das vorstellt, aber besonders gut kann ich mich an einen Schüler aus Dresden erinnern. Mitten in einer Lesung lachte er laut. Ich unterbrach sie und fragte ihn, warum er so laut lache.
„Du bist doch kein Deutscher“, sagte er. Ich verstand sofort, was sein Problem war und fragte, ob er denn deutsch sei. Daraufhin lachte er erneut und sagte „Selbstverständlich“. „Wie lange bist du denn deutsch“, fragte ich. „Das ganze Leben lang“, antwortete er.
Auf meine Frage, ob er schon einmal mal in Hamburg war, Bremen, Köln, München, Frankfurt, Kiel, Düsseldorf, Stuttgart usw. – kam eine leise Antwort: „Nein“.
Es herrschte plötzlich eine Stille im Raum und ich sagte ihm: „Ich verstehe Dich nicht, mein Junge! Ich lebe doppelt so lange wie Du in unserem Land, also 34 Jahre und kenne all die Städte, die ich aufgezählt habe und Du hast Zweifel daran, dass ich ein deutscher Staatsbürger bin?“
In den Augen aller anwesenden Schüler sah ich ein Nachdenken. Ich wollte dem Jungen aber keinen Stempel aufdrücken und sagte dann: „Ich danke Dir herzlich dafür, dass Du so mutig warst und laut gelacht hast. So hast Du mir die Chance gegeben nicht nur Dir, aber auch allen anderen hier im Raum eine Antwort zu geben.“ Es war mir wichtig, dass ich versucht habe, den jungen Schüler trotz seiner rechten Meinung zu integrieren. Ich halte das für unsere gesellschaftliche Verantwortung.
Du betonst, dass du dich nicht als Opfer siehst, sondern als Streiter – für mehr Teilhabe, Sprache und gemeinsame Werte. Wie definierst du in der Praxis „Grundfarbe Deutsch“ und welche Werte sind dir dabei besonders wichtig?
Grundfarbe Deutsch ist für mich nicht nur die deutsche Sprache, sondern unsere Verfassung und die Demokratie und die ethisch-moralischen Grundwerte wie Toleranz gegenüber Minderheiten. Und über Unzuverlässigkeit, Unpünktlichkeit, die hier verpönt sind, ärgere ich mich selbst sehr oft.
In Interviews hast du kritisch angesprochen, dass viele Immigrant:innen sich in Parallelgesellschaften isolieren und die Sprache sowie Teilhabe vernachlässigen. Was braucht es deiner Meinung nach auf gesellschaftlicher Ebene, damit Integration besser funktioniert?
Menschen, die in unsere Gesellschaft integriert sind, haben im Vergleich zu den Menschen aus Parallelgesellschaften bessere Chancen im Alltag und im Berufsleben. Oft haben Menschen, die zu uns kommen, Angst, dass sie ihre eigene Kultur verlieren, wenn sie sich fest in unserer Gesellschaft verankern. Genau das stimmt nicht, denn die ursprüngliche Kultur gehört zur Identität eines einzelnen Menschen dazu. Die Betroffenen müssen es wollen und wir müssen ihnen die Möglichkeiten sich zu integrieren. Ich bin dafür, dass jeder, der zu uns kommt, arbeiten darf, aber sich selbst finanzieren muss, außer individuellen Ausnahmen. Denn der Beruf und das Arbeitsleben fördern die Integration am besten, das gilt auch für die Bildung.
Uns verbinden beide Namen, die in Deutschland schwer auszusprechen sind (beide müssen lachen). Ich habe mal gelesen, dass Du Deinen Patienten gesagt hättest „Mein Name ist Dr. Umeswaran Arunagirinathan. Aber nennen Sie mich einfach Dr. Umes“…
Ich war in der Schule sprachlich unbegabt und ich merke heute noch wie schwer es mir fällt, z.B. osteuropäische Namen auszusprechen. Wie kann ich also von einer 80-jährigen Patientin, die mich zum ersten Mal sieht, verlangen, dass sie „U-mes-wa-ran A-ru-na-gi-ri-na-than“ korrekt ausspricht?
Ich nehme das Ganze mit etwas Gelassenheit.
Das täte uns sicher allen gut – danke.
Buchtipp: „Grundfarbe Deutsch“
Inhalt: Dr. Umes ist Herzchirurg, erfolgreicher Autor, engagiertes Mitglied der deutschen Gesellschaft – und dunkelhäutig. Wie viele andere farbige Menschen erlebt er immer wieder diskriminierendes Verhalten seiner Umwelt. Mal ist es nur eine dumme Bemerkung, mal ein gravierender Verstoß gegen seine Würde als Mensch. Gleichzeitig gibt es eine Debatte darüber, was man «eigentlich noch sagen darf», ohne in die rechte Ecke gestellt zu werden. Umes klagt nicht an, sondern klärt auf. Anhand seiner Biografie beschreibt er pointiert, mit welchen Schwierigkeiten farbige Menschen zu kämpfen haben. Doch er sieht sich nicht als Opfer, sondern als Streiter für ein Zusammenleben, in dem das Gemeinsame die Hauptrolle spielt: die Grundfarbe Deutsch eben. Dazu gehören die deutsche Sprache, die Freiheit zur Selbstentfaltung, Gleichberechtigung und einiges mehr. Es ist das, was diese Gesellschaft für die Deutschen aller Hautfarben ausmacht. Wir dürfen nicht zulassen, dass der Rassismus diese Werte zerstört.
„Grundfarbe Deutsch“ von Umes Arunagirinathan, rowohlt Verlag









