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Mi, 13. November, 2024
StartGeneration 2.0"Weiterhin Geschichte schreiben"

"Weiterhin Geschichte schreiben"

(bc) Seit zwölf Jahren tummelt sich theinder.net in der bunten Medienlandschaft Deutschlands. In den vielen Jahren haben wir viele Menschen kennengelernt, die bis heute bleibende Eindrücke hinterlassen und die deutsch-indische Community auf ihre Weise geprägt haben. Einige dieser Menschen sind noch heute präsent und aktiv, andere schon wieder in Vergessenheit geraten. Heute unterhalten wir uns mit Diptesh Banerjee, der sich auch diesmal nicht vor kontroversen Aussagen scheut, aber auch nostalgisch auf die Millenniumzeit zurückschaut, als sich die Community in Deutschland entwickelte. Plötzlich fallen wieder Begriffe wie „Indian Night“, „DJ UP-Wala“, „Sherry“, „Arunava“, „Indian Arena“ und „Prasanna“. Ein „Inderview“.

Diptesh, eine lange Zeit ist vergangen, seitdem wir über Dich als den „indischen Community-Rapper“ berichteten. Welche sind Deine aktuellen Projekte?
Nach der Veröffentlichung meines umstrittenen kostenlosen Street-Mixtapes „Gutes Zeug aus West“ arbeite ich nun in Ruhe an meinem zweiten Solo-Album. Hierbei stehe ich nun nicht mehr unter dem Zeitdruck eines angekündigten Comebacks und muss keine Erwartungshaltungen erfüllen wie bei der „Bollywood Ghetto Gentleman“ Platte, bei welcher ich mich zwar selbst verwirklichen konnte, aber meine Schaffenskraft nicht den zeitlichen Freiraum erhielt, in geistige Tiefen weiter frei hineinzuwachsen. Ansonsten plane ich einen Musik-Clip zum Song „Gentleman“ aus meinem Album-Debut und arbeite nebenher an einem Roman.
Wenn Du Dir die Entwicklung der deutsch-indischen Jugendszene in den letzten zehn Jahren anschaust, was hat sich – positiv wie negativ – verändert? Welche Aspekte sind gleich geblieben?
Ob mit einer indischen oder einer anderen Herkunft: Die Jugend ist antriebslos.
Tatsächlich?
Ja, leider finde ich in der heutigen Zeit keine lebendige Jugendszene vor, die wirklich frei atmet und sich in der urbanen Gegebenheit der Großstädte einen unabhängigen Lebensraum erobert hat. Vielmehr schlachtet die Musikindustrie alle kreativen Schöpfungsversuche der Jugend kommerziell aus und lässt auf diese Weise mögliche Jugendszenen erst gar nicht entstehen. Wohl aber gibt es Jugendliche, die das Erbe unserer Generation noch hochleben lassen und beispielsweise die Ideale der Hip Hop Kultur auf Underground-Partys zelebrieren. Doch handelt es sich hierbei um die Imitation der Musik-Kultur, deren geschichtlicher und philosophischer Gehalt nicht in der Tiefe verstanden wird, nicht gelebt wird und die vermeintliche Jugendszene sich nur zu einer Pseudo-Undergroundkultur herausbilden kann. Auch wenn die Jugend künstlerischen Anspruch hat, ist ihre musikalische Ausdrucksform seelenlos. Wenn es der Kultur an philosophischen Grundsätzen fehlt, ist ihre Seele nicht vorhanden. Ansonsten werden in der Medienwelt Jugendszenen gar nicht erst behandelt und kreative Schaffenskraft ist von vornherein kommerziell ausgelegt. So fragt sich heute eine Band nach Werbemöglichkeiten für ihre Musik und wägt ihre Zielgruppe ab, bevor sie überhaupt ihre Kunst auf die Bühne trägt.
Heute zählt ausschließlich das Marketing, als die eigentliche Musik. Kunst wird sowohl von Musikern als auch von der Musikindustrie stark kontrolliert und ist nicht mehr frei. Sowohl der Mainstream als auch der Underground orientiert sich an den Markt. Gleich geblieben ist die musikalische Freude einzelner Künstler, die noch das Lebensgefühl aus damaligen Zeiten in ihren Herzen tragen. Aber Jugendszenen sind eindeutig verschwunden und es wird sich auch daran nichts ändern, insofern es nicht den Musikindustrie dienlich ist. Musiker leben in einer Youtube-Kultur, welche die kollektiven Open-Mic Events, die einst regelmäßig stattfanden, ersetzen. Du wirst heute wirklich keine Band finden, die Teil einer großen Musikkultur ist, welche einen authentischen subversiven Lebensstil verkörpert, fernab dem Ziel des kommerziellen Erfolges mit qualitativ schlecht bedruckten Plakaten in Eigenregie für ihre Konzerte wirbt, Musik mit sehr niedriger Tonqualität verbreitet und auf diesem Wege erfolgreich wird.
Dein Musikstil hat sich dem Wandel der Zeit angepasst und doch spürt man eine Individualität und Eigensinnigkeit in Deinem Auftreten und Deiner Sprache. So manch einer fragt sich, warum Du bei Deinem Talent nicht bei einem großen Produzenten gelandet bist und die Charts stürmst. Oder beantwortet der Label-Deal mit Nasswetter die Frage?
Die Gründe hierfür liegen in meiner musikalischen Vergangenheit. Damals arbeitete ich mit namhaften Musikern wie Xaver Fischer und Frank Dursthoff zusammen, wurde mit meiner Ex-Crew Radical Xpress bei Deutschlands erstem Newcomer Contest „Fame ’96“ unter 5000 Bands in die Top 12 hineingewählt, hatte einen Tonträgerproduktionsvertrag mit Frank Dursthoff, welcher heute den Starfotografen in der Sendung „Fashion Trixx“ verkörpert und wurde über Frank als Songtexter bei Universal verlegt, ging mit Tachiles und der Jazzkantine auf die Bühne etc. …
Ich schnupperte also schon den Geruch des Erfolges und als ich die Chance auf einem großen Durchbruch erfuhr, nutzte ich sie nicht und begab mich in meinen jungen Jahren auf die Pfade der Selbstfindung. Ich ließ alles hinter mir. Es war aus damaliger Sicht nicht dumm, sondern der Weg, welchen viele Künstler einschlugen. Es war cool, Underground zu sein und man hatte zugleich eine echte Chance auf einen kommerziellen Erfolg. Jedoch konnte ich nicht erahnen, dass in der Zukunft Jugendszenen verschwunden sein werden. Kein Mensch dachte in diese Richtung und solch eine Vorstellung wäre aus damaliger Sicht einfach utopisch gewesen. Wohl aber bemühte ich mich aber gezielt um kommerzielle Erfolge. Derartige Pläne verwarf mein Freigeist aber rasch wieder und ich tobte mich in diversen Musikszenarien kunstvoll aus, gab hin und wieder in der Ratinger Lokalpresse Interviews und ließ mir bei meinen kommerziellen Ambitionen reichlich Zeit. Ich genoß mein Leben als freier Künstler und behielt als MC meinen eigenen Stil bei, welcher sich von der Bissigkeit des Drum&Bass nährte, sich vom lauten Ausbruch der Rockmusik mitreißen ließ, in der Inspiration der US-Hip Hop Szene wuchs, im Pulse meines Wesens reifte und sich der modernen Popkultur fügte.
Würdest Du Dich als Hiphopper bezeichnen?
Nein, heute nicht mehr nicht mehr, sondern vielmehr als Musiker, wobei ich als MC agiere. Ich habe zu viele musikalische Eigenarten entwickelt, so dass ich mich so unterschiedlich zum Ausdruck bringe, dass ich von der Musikindustrie nur schwer in einer Schublade untergebracht werden kann. Vielleicht ist dies der Grund, weswegen ich fernab der Charts Konzerte spiele und dennoch von der Masse gehört zu werden trachte. All diese Beweggründe, die ich überzeugt lebe, haben mir viel Kritik eingebracht. Gewinne ich Fans, verliere ich andere Hörer. Nach meiner lyrisch recht tiefenpoetischen Platte „Bollywood Ghetto Gentleman“ reagierten viele treue Hörer auf mein härteres Streettape „Gutes Zeug aus West“ überempfindlich, wobei die lyrischen Prosatexte der Interludes nur von Wenigen gehört wurden. Paradoxerweise kam der Deal mit Nasswetter Musicgroup aber dann über meinen umstrittenen Clip zum Track „Ghetto nach oben“ aus meinem Mixtape zustande. Obwohl das Label einen hohen musikalischen Anspruch offenbart und eher innovativen Pop, Jazz und Soul als Genre vertreibt, durchleuchtete Michael Nasswetter den polarisierenden Sinngehalt meiner härteren Texte und erkannte, dass ich mich durchweg weigere, den Erwartungen meiner Hörerschaft zuzusprechen. Gerade dieser Umstand begeisterte ihn. Natürlich hoffe ich jetzt, dass meine nächste musikalische Reise in die Charts führt. Drück mir die Daumen.
Was waren die Beweggründe für die Gründung von Indertat, was möchtest Du mit dem Begriff „Indertat“ zum Ausdruck bringen?
Indertat setzt sich aus dem Wort „Inder“ und „Tat“ zusammen und repräsentiert mein Wesen in der Vollkommenheit. Ich bin die Indertat, die Tat eines Inders und verkörpere als MC die Philosophie Gandhis, mit der Macht des Wortes Ungerechtigkeiten zu bezwingen, die aus postkolonialen Zusammenhängen hervorgehen. Darüber hinaus ist Indertat ein Wortspiel: In der Tat sind Indertaten in der Tat. Es ist immer mit einer neuen Indertat zu rechnen. Im Jahr 2000 trug ich eine zeitlang das Pseudonym Indertat MC und wollte hinterher mein Album mit der Bezeichnung betiteln. Das Album fand keine Umsetzung und aus Indertat wurde schließlich ein größeres Projekt, welches diverse künstlerische Bereiche bündelte und schließlich entstand das Musiklabel Indertat, welches neben meiner musikalischen Schaffenskraft auch andere Künstler wie beispielsweise Lil Jim und Flexx in den Vordergrund stellten. Hinterher sind die Beiden aber ihren eigenen Weg gegangen und heute sehr erfolgreich. Jim hat sich als Bhangra –und Bollywoodtänzer und Flexx (Rayflow) als Entertainer etabliert. Indertat bedeutet Revolution auf der künstlerischen Ebene und repräsentiert generell alle Menschen mit einem Migrationshintergrund und ambitioniert eine wahre multikulturelle Gesellschaft in Deutschland. Wir leben in einer Multikulti-Lüge mit Parallelgesellschaften, die aufgebrochen werden müssen, um ein echtes multikulturelles Deutschland aufleben lassen zu können. Migranten werden in den Bereichen der Kunst in Deutschland unterdrückt und die gesellschaftliche Realität, in welcher Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und Hautfarben höhere Positionen bekleiden, entspricht nicht immer der Darstellung in der Medienwelt. So müssen gebildete Migranten beispielsweise in der kommerziellen Filmwelt Rollen spielen, in welchen sie schlecht Deutsch sprechen und mit kriminellen Machenschaften in Verbindung gebracht werden. Indertat ist unabhängig und wird sich früher oder später durchsetzen.
Diptesh MC, Diptesh MZ, D.I.P., Fichi Diamond… warum diese vielen Namen, welche Bedeutung haben Sie, sind sie ein Abbild der verschiedenen Lebensabschnitte eines Diptesh Banerjee?
Ja, die verschiedenen Namen funktionieren wie Klamotten, die ich aus einem Gefühl heraus an meinem Körper trage. Sie zeigen mein Lebensgefühl und begleiten mich zu neuen Zielen. Ich erfinde mich immer wieder neu, wobei ich jedoch immer der Diptesh bleibe. So kennt man mich und wenn ich mir die Kleidung abstreife, verbleibt Diptesh. Ich lebe mein Facettenreichtum an Ausdrucksformen.
Du provozierst Durch Deine Musik und Dein Auftreten gern. Bist Du ein Nein-Sager?
Diese Frage habe ich mir selber auch immer wieder gestellt. Irgendwie bin ich ein Mensch, welcher ständig in Bewegung ist und hierbei individuell bleiben möchte. Ich bewege mich immer gegen den Strom des aktuellen Zeitgeistes und bediene mich künstlerisch auch manchmal sehr unkonventionellen Ausdrucksformen und polarisiere gerne. Kunst sollte immer unangenehm anecken und die Gemüter erregen, um auf bestimmte Missstände hinzuweisen. Sonst kann es keine Veränderung geben. Die Jugend sollte neue Wege gehen. Doch geht sie immer mehr den Weg in die Eindimensionalität. Sie passt sich den Trends an. Ich habe nichts dagegen, dass sich Kunst kommerziell vermarktet, aber sollte sie immer unabhängig bleiben und die Essenz des Künstlers zum Ausdruck bringen und nicht das Wesen der Konzerne. Ich sage Ja zu jeglichen Arten der menschlichen musikalischen Kreation und Nein zur weichgespülten Kunst, welche ausschließlich die Konsumwelt repräsentiert.
Wir erinnern uns an die Gründerzeit von theinder.net, wie hast Du sie damals und heute reflektierend wahrgenommen?
Theinder.net ist ja einst aus unserer Greencard Diskussion hervorgegangen, welche wir in Arunava Chaudhuris Mailinglist „Swagatham“ führten. Wir waren ein bescheidener Haufen Inder, welche sich mit ihren kulturellen Hintergründen auseinandersetzten und so entstand die Webseite theinder.net, welche Du mit Kristian und Soumya ja aus der Taufe hiebst, um Inder aus unterschiedlichen kulturellen Regionen zu vereinen und zu vernetzen. Interessant war, dass Ihr die Mailinglist bis dato nicht kanntet, die Themen, mit denen ihr und wir uns parallel auseinandersetzten jedoch dieselben waren. Es war interessant, neue Inder in Deutschland kennenzulernen. Hierbei haben sich kreative Köpfe aus diversen Bereichen zusammengefunden, um die Website zu beseelen. Wir wollten uns einerseits selbst finden und andererseits der Deutschen Gesellschaft zeigen, wer wir sind. Es gab mitunter eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen mir und DJ U.P. Wala, welcher auf der „Indian Night“ in Frankfurt auflegte. Wir warben dort gemeinsam mit Sherry, welcher hinterher Panjabi MC nach Deutschland verdealte und den unterdrückten Südasiaten in Großbritannien die Türen öffnete, für theinder.net und vernetzten die südasiatische Community in Deutschland. Es wurden diverse Veranstaltungen und Partys ins Leben gerufen, theinder.net in den Medien präsentiert und somit habt Ihr Geschichte geschrieben.
Erinnerst Du Dich noch an die „Indian Arena“?
Klar, erinnere mich auch an die erste Club-Party, welche theinder.net selber plante, um den Nutzern der Seite die Möglichkeit zu geben, sich persönlich zu begegnen. Interessant fand ich auch das Zusammentreffen mit Mona Sharma von Pro7 Switch, welche die Musikveranstaltung im Rahmenprogramm eines indischen Fußballturniers moderierte. Sie traf ich dann noch einmal auf einer indischen Party wieder, auf welcher sie mir von ihrem Buch erzählte. Eine sehr intelligente und ausdrucksstarke Persönlichkeit. Das Fußballturnier wurde unter anderem von Arunava Chaudhuri veranstaltet, welcher die U17 des indischen Nationalteams präsentierte. Heute reist Arunava quer durch die Welt und promotet den indischen Fußball in Deutschland. So war er auch mehrmals im TV zu bewundern. Unter anderem auch neben Oliver Kahn bei seinem Endspiel in Kolkata. Theinder.net war das Indienportal für Deutschland, welches irgendwann auch Nachahmer fand. Jedoch blieb Theinder.net die Nummer 1. Als Chefredakteur wurdest Du ein „Star behind the scene“.
Ach komm… sprechen wir lieber über Dich.
„Community-Rapper“ Diptesh in Aktion.
Ich wurde zum Community-Rapper der südasiatischen Diaspora und erlebte ein musikalisches Comeback. Hierbei hatte ich zum ersten mal neben Fans auch Missgönner. Außerdem stellte ich fest, dass es sehr große kulturelle Unterschiede zwischen den Sprachgruppen auf dem Subkontinent gab und Indien ganze Völker vereinte, die nicht immer miteinander auskommen. Es war eine generell sehr schöne und ereignisreiche Zeit, auf welche ich heute nostalgisch zurückblicke. Schade finde ich, dass die Partys, die ursprünglich gedacht waren, um sich untereinander kennenzulernen, zu kommerziellen Events ausarteten und heutzutage die Community wieder in einzelne geschlossene Gemeinschaften auseinandergebrochen ist. Die Jugend wurde älter und stand unter dem Druck der Eltern, in den eigenen kulturellen Kreisen künftige Ehepartner zu finden. Alles begann so schön und führte Menschen zusammen. Heute bleibt eine schöne Erinnerung. Theinder.net schrumpfte zu einem interessanten Informationsmedium rund um das Thema Indien und erfährt nun einen neuen Auftrieb und wieder einen größeren Bekanntheitsgrad. Alle Pioniere und Anhänger der Seite haben sich nun im Sozialen Netzwerk Facebook zusammengefunden und Theinder.net ist zu einem lebendigen Blog geworden. Mit Stolz kann ich sagen: Ich bin von Anfang an dabei gewesen und bin Theinder.net auch in schlechten Zeiten immer treu geblieben!
Ich setze einen drauf: erinnerst Du Dich noch an Prasanna Subramaniam?
(lacht) Na klar erinnere ich mich an Prasanna Subramaniam! Er organisierte die erste Veranstaltung, die Theinder.net promotete. Wir standen ihm beim Unabhängigkeitstag 2000 in Köln tatkräftig zur Seite und der Prasanna war hoch motiviert „überaus“ engagiert. Mit Schweißperlen auf der Stirn lief er seine Runden und übernahm die Organisation glatt als einzelner Mann, während wir ihm zuarbeiteten. Er gab richtig Gas und spielte sogar die südindische Trommel Mringindanam aus Kerala. Prasanna Subramaniam ist und bleibt unser Maskottchen. Auf der Veranstaltung warben wir auch für unser Portal und so kam der Zulauf von allen Seiten.
Es gibt deutsch-indische DJ’s, Tänzer/innen, Musiker und Sänger, sagen wir umspannend „Künstler“. So mancher indischer Schauspieler ist im deutschen Fernsehen zu sehen und Kaya Yanar hat „den Inder“ salonfähig gemacht, wenn auch auf eine humoristische Art. Wie lässt sich diese ganze Szene beurteilen?
Die Möglichkeit, dass sich indische Künstler und Künstlerinnen in einem solchen Ausmaß bundesweit kommerziell in Szene setzen können, ist ganz klar Theinder.net zu verdanken. Denn mit der Vernetzung der südasiatischen Community in Deutschland und dem Wachstum des Portals ist ein großes mediales Interesse für Indien erst aufgekommen. Wir sorgten dafür, dass Panjabi MC erfolgreich wurde, RTL2 sich für Bollywood begeisterte und die indischen Club-Partys, die in Großbritannien zuvor noch im Underground jahrzehntelang zelebriert wurden, in Deutschland kommerziell aufgelebt wurden. So wurde der urbane Lebensstil der indischen Community in UK, welche die Eigenbezeichnung Urban-Desi-Culture trägt und von den britischen Medien zuvor nicht beachtet wurde, frei und wanderte durch offene Türen der Unterhaltungsindustrie. Mitunter wurde dadurch auch der Erfolg von Jay Sean und Juggy D möglich. Theinder.net brachte den Stein erstmals ins Rollen.
Jüngst gestaltete DJ G-ONE, welcher noch heute in Köln richtig geile Partys aufleben lässt, die Choreographie für Kaya Yanars Verfilmung seiner Figur Ranjid. Ich finde all dies großartig und ich glaube an eine echte multikulturelle Gesellschaft in einer Zukunft, in welcher jeder Mensch mit einem Migrationshintergrund eine Chance haben wird, sich fest in der Medienwelt zu etablieren. Wir sind schon so weit gekommen. Lasst uns nicht aufgeben und weiterhin Geschichte schreiben.
Lass uns auf das Thema Sprache kommen. Du bist studierter Germanist, also Sprachwissenschaftler. Die türkische Diaspora hat in Deutschland vielerorts eigene Sprachkreationen entwickelt, teils gibt es sogar Wörterbücher im Stile von „Kanak Spraak“. Warum gibt es das für Inder eigentlich nicht, sind wir zu stark integriert?
Wenn wir überlegen, wird die Einflechtung von Wortzusammenstellungen aus der Sprache einer ethnischen Minderheit in die allgemeine Amtssprache einer Gesellschaft doch auf kommerzieller und literarischer Ebene erst möglich, wenn die mehrheitlich gesprochene Sprache von der ethnischen Minderheit weitgehend intellektuell adaptiert wurde und eine weitgehende gesellschaftliche Akzeptanz dieser Minderheit vorliegt. In Deutschland begründet sich die gesellschaftliche Akzeptanz der türkischen Diaspora auf wirtschaftliche Interessen. Fernab der kommerziellen und allgemeinen künstlerischen Ebene ist hierbei noch die Verbindung von sprachkultureller Macht und sprachkultureller Dominanz bedeutsam. Die türkische Community in Deutschland stellt die größte Gemeinschaft einer ethnischen Minderheit und übt auf dieser Weise auf andere vergleichsweise kleineren Sprachgruppen eine eindeutige Vorherrschaft aus. Je größer die Macht einer Sprachgruppe, desto größer ist ihr sprachliches Selbstbewusstsein zu neuer Wortschöpfung und ihrer anschließenden Verbreitung. Hierbei hat die türkische Diaspora auf Grund einer helleren Hautfarbe noch einen weitaus größeren Vorteil, den Weg in die Unterhaltungsindustrie zu gehen, als Menschen mit indischen Herkunftshintergründen. Auf dieser Weise konkurrieren türkischstämmige Künstler übrigens mit den Urdeutschen, welche befürchten, dass die „Kanaak Sprach“ bald nicht nur von Menschen mit Migrationshintergründen gesprochen wird, sondern in den allgemeinen Alltag in Deutschland fest verstrickt sein wird.
Integration versus Herkunft, Anpassung versus Individualität. Passt das zusammen oder birgt das Konflikte? Wie gehst Du und Dein Umfeld damit um?
Integration und Anpassung gelten meiner Meinung nach für Menschen, die nicht in Deutschland geboren sind und bei uns leben. Hierbei sollte kein Mensch seine Herkunftshintergründe verleugnen, aber sich generell um das Erlernen der Sprache und der Adaption europäischer Werte bemühen. Für hier geborene Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen passt ausschließlich die Frage nach der nationalen Identifikation, die ich persönlich mit „Deutsch“ beantworte. Statt Anpassung und Integration stehe ich für eine multikulturelle Gesellschaft, in welcher Menschen offen aufeinander zugehen und ein gesellschaftliches Miteinander leben.
Wann wird der erste Inder/in Bundeskanzler?
Wenn wir als Deutsche mit unterschiedlichen Herkunftshintergründen selbstbewusst für das Recht kämpfen, hohe politische Ämter zu bekleiden. Nur dann wird es möglich, dass nicht nur Urdeutsche das Land regieren.
Vielen Dank für das Gespräch.
Bijon Chatterji
Bijon Chatterji
Bijon Chatterji (*1978) ist Mitbegründer und Chefredakteur von theinder.net. Er studierte Biologie in Braunschweig, promovierte, forschte und lehrte in Hannover. Heute ist er als Global Lead für ein Biotechnologieunternehmen tätig und verantwortet dort u.a. den Bereich Indien. Von 2012-16 war Bijon Mitglied der Auswahlkommission für das "Deutsch-Indische Klassenzimmer" (Robert Bosch Stiftung / Goethe-Institut). Seit 2018 ist er Mitorganisator des "Hanseatic India Colloquium" und nahm 2023 auf Einladung der Bundesintegrationsbeauftragten erstmals an Dialoggesprächen im Bundeskanzleramt teil.

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