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Di, 19. März, 2024
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Jamiro Vanta aka Sola Plexus:“Apache Indian war der erste braune Typ, der irgendwas Cooles gemacht hat“

Jamiro Vanta – den meisten bekannt als Sola Plexus – ist Musiker, Schauspieler und Redakteur. Er studierte Germanistik und Sozialpsychologie und hat sich nebenbei intensiv mit Medienwissenschaften befasst. Mit uns spricht er über das Aufwachsen zwischen den Welten, über den derzeitigen Aufstieg südasiatischer Kulturschaffender im Westen, über Identität als Sample und über ein Amalgam aus verschiedenen Erfahrungen, das zu einer neuen Kultur heranwächst, die Südasiaten weltweit verbindet.
Jamiro Vanta, Foto: Jasper Walter Bastian, Dortmund
Jamiro Vanta, Foto: Jasper Walter Bastian, Dortmund

Erzähl mal was du so machst. Du bist ja für uns und die indische Szene bekannt als Sola Plexus, früher auch Sulal Kool oder Nexalite MC,  Musiker und MC mit indischem Hintergrund.

Das mit dem indischen Hintergrund hat sich natürlich nicht geändert (lacht). Auch das mit dem Musiker nicht. Dazugekommen ist, dass ich zwischenzeitlich und auch vorher schon geschauspielert und damit seit ein paar Jahren wieder angefangen habe. Ich habe zwischenzeitlich auch Magazine gemacht als Redakteur, beziehungsweise in Chefredaktion. Dadurch, dass ich ganz stark mit Kommunikationsdesignern zusammengearbeitet habe, habe ich innerhalb von drei Jahren auch so ein bisschen Creative Direction gelernt. Mittlerweile würde ich sagen, ich bin Künstler. Weil ich nicht mehr nur als der Musiker Sola Plexus rappe, singe und produziere. Hiphop ist nach wie vor meine Basis, die immer noch durch und durch dafür sorgt, wie ich Musik verstehe. Und meine Programmatik da und in in allem, was ich als Jamiro Vanta tue, sind das Sample und der Loop, die Wiederholung. Ich hab mich dem Loop, dem Sample und der Hermeneutik (Anm. d. Red.: Lehre von der Auslegung und Erklärung eines Textes oder eines Kunst- oder Musikwerks) verschrieben. Und ich denke quasi auch alles in diesen Wiederholungen, in diesen Schleifen und auch immer in Referenz-Kultur. Alles ist immer Referenz, alles kommt irgendwo her und führt irgendwo hin.

Das mit dem Samplen finde ich einen interessanten Punkt  – und da kommen wir auf theinder.net, das dieses Jahr 20-jähriges Bestehen feiert. Da wurde ja ein ganz bestimmtes Indien-Bild dargestellt von Leuten, die in einem deutschen Umfeld aufgewachsen sind und meist indische Eltern hatten. Auch war es eine Art Suche nach Identität, eine Suche nach Gleichgesinnten. Dadurch ist dann organisch im Laufe der Zeit ein Indien-Bild entstanden, das auch irgendwie gesamplet ist aus Klischees, die man sich zusammengesucht hat.

Ja, am Ende ist es das ja sowieso. Nur als Beispiel: Diaspora ist ja grundsätzlich ein Sample-Life. Weil speziell diejenigen aus unserer Elterngeneration ein Leben zwischen den Welten geführt haben. Und man hat sich so „best of both worlds“ zusammengesucht. Was letztendlich dazu führt, dass auch die entsprechenden kulturellen Ausprägungen oder die Sinnsuche oder die Suche nach Herkunft, oder was wir dann letztendlich in der Diaspora nach außen tragen, ja quasi immer ein Trichter ist: Du stopfst oben was rein und unten kommt was raus.

Am Anfang ist man auch noch nicht so kritisch und bezieht sich eher auf die positiven Aspekte der eigenen Herkunft. Und ich glaube, mit steigender Popularität und steigendem Wissen und steigendem Interesse daran, sich sowohl gegenüber der Herkunft als auch dem aktuellen Dasein zu verorten, kommen dann auch kritische Gedanken auf, die diese Dualität in der wir ohnehin leben, verstärken. Das ist jetzt natürlich auch sehr geisteswissenschaftlich. Für mich ist zum Beispiel ein Phänomen, dass einige Inder in der Diaspora strenger als einige Inder in indischen Großstädten sind. Bei Netflix gab es ein Special mit weiblichen Comedians, die alle aus indischen Städten kamen, Mumbai und so weiter. Und worüber ich nie nachgedacht habe: Wenn du hier in Deutschland aufgewachsen bist, dann hast du selbstverständlich vor der Ehe Sex gehabt. Und das gibt es da halt auch. Es gibt da in den Städten casual Sex. Und darüber haben diese Frauen geredet. Und ich dachte: crazy Shit!

Die reden darüber. Aber ich glaube ehrlich gesagt, dass es all das auch auf dem Land und in scheinbar richtig strengen konservativen Gesellschaften gibt. Nur das läuft alles unter dem Radar...

Keine Frage, das gibt es alles! Aber diese Comedians haben halt offen darüber geredet. Nicht nur, dass die das untereinander kommunizieren, sondern da stehen diese Frauen in der Öffentlichkeit und kommunizieren das medial! Und das, während du die krasseste konservative Regierung aller Zeiten in Indien hast. Und das ist so ein bisschen crazy, dass es nicht unbedingt die Diaspora braucht, um gewisse Dinge zu öffnen. Aber Diaspora sorgt zum Beispiel dafür, dass du diese Dinge eben nicht mehr weißt über dein Land. Weil du da eben nicht bist.

…Du konservierst eine Erinnerung oder ein Konzept von dem Land, das du damals so erfahren hast…

Oder was an dich herangetragen wurde. Was haben wir denn mitbekommen? Wir haben ja nicht dort gelebt!

Und da baut man sich dann aus dem, was an einen herangetragen wurde, ein Indien-Bild. Was ist denn für dich „Indien“ oder „indisch“. Was ist das zentrale Element des „Indischen“ für dich?

Essentiell natürlich – dadurch, dass ich strenge Eltern hatte – die Religion. Meine Eltern sind Voll-Christen. Ich verbinde Religion eng mit Indien. Nicht grundsätzlich das Christentum, sondern grundsätzlich alle Religionen.

…also Religiösität…

Definitiv. Und damit einhergehend sowohl Einschluss als auch Ausschluss.

Ganz klar aber auch das Essen. Ich meine nirgends wird so viel und so intensiv mit Gewürzen gekocht. Wir haben immer Reis gegessen und immer unsere Currys.

Und was definitiv auch indisch ist, sind die Breakbeats. Wir sind nicht die Erfinder des Rhythmus, aber wir sind die Erfinder des Breakbeats. No fucking with the original junglists! (Anm. d. Red.: „junglist“ abgeleitet von Jungle, einer Stilrichtung des Musikgenres Drum’n’Bass) Ich würde behaupten, die indische Musik hat mehr Jazzanteile, als man glaubt: Es gibt eine Vereinbarung wie im Jazz. Es gibt Dinge, die du einhalten musst und dann gibt es einen Bereich außerhalb. Dieser Spielraum ist sowohl im Jazz als auch in der indischen Musik, zum Beispiel der Karnatik Musik (Anm. d. Red.: südindische Ausprägung der klassischen indischen Musik), sehr groß. So groß, dass es ganz stark davon abhängt, wer mit wem spielt. Deswegen definitiv Musik. Wir haben einen Riesen-Einfluss. Und über die Musik würde ich auch sagen: der Film, bzw. unsere audiovisuelle Ästhetik. Weißt du woher das kommt, warum das so stark ist in der Welt und warum indisches Kino überall bekannt ist?

…Erzähl…

Bollywood ist ja die größte Filmindustrie. Und wenn man alle zusammen nimmt, ist die indische Filmindustrie die größte der Welt – größer als Hollywood. Als Hollywood groß geworden ist, konnten sich nur bestimmte Länder die Filmrollen leisten. Alle anderen Länder, die sich die Rollen nicht leisten konnten, sind auf die nächst bekannteste Filmindustrie gegangen und das ist das indische Kino. Weil die Filme günstiger produziert wurden, waren die Filmrollen günstiger. Und deswegen sind ganz Afrika, die ganze ehemalige Sowjetunion und große Teile der Welt tief im Bollywood-Kino drin. Deswegen hast du irgendjemanden in Usbekistan, der kein Wort Hindi versteht, aber der dir irgendeinen Bollywood Song singen kann.

Zusammengefasst sind das also die drei Dinge: Das Religiöse, dann die Farben, die Musik unser Tanz, die Ästhetik – das nehme ich alles zusammen –, und das Essen.

Sola Plexus, Foto: Rainer Keuenhof, Eitorf
Sola Plexus, Foto: Rainer Keuenhof, Eitorf

Das was man im Westen davon mitbekommt, scheint eher nordindisch geprägt zu sein. Auch sowas wie das Klischee vom turbantragenden Inder ist sehr nordindisch. Das Südindische kommt in diesem Bild gar nicht vor. Aber das, was du meinst sind ja eigentlich Elemente, die zwar überall eine andere Gestalt haben, sich aber überall in Indien wiederfinden.

Ja, auf jeden Fall. Das ist natürlich auch das uns alle Vereinende. Wenn ich sage „Inder“ – das Wort selbst ist natürlich ein politisches und soziales Konstrukt – dann meine ich – und das ist eigentlich auch nicht ganz richtig – Pakistanis, Bangladeshis, Tamilen aus Sri Lanka und Singhalesen. Ich meine uns alle. Das sind definitiv Dinge, die uns alle einen.

Und du weißt ja auch, dass es einen Farbrassismus in Indien gibt. Meine Eltern sind eine ganze Zeit deswegen zum Beispiel nicht Air India geflogen, weil die sich gedacht haben: Lieber von ein paar Arabern schlechter behandeln lassen (lacht).

Zu den Indern in Deutschland: Hast du früher viel mit anderen Indern abgehangen? Warst du früh in eine indische Community eingebunden?

Das Ding ist, meine Ma gehört ja zu den einigen Tausend Frauen aus Kerala, die in den 70ern oder 80ern nach Deutschland gekommen sind und hier eine Ausbildung zur Krankenschwester gemacht haben. Und dadurch, dass diese Frauen zusammen hierher gekommen sind und auch zusammen an den gleichen Orten gearbeitet haben, waren die schon direkt in einer Community und haben dann auch bald einen deutsch-indischen Verein gegründet zum Beispiel. Und die ersten Jahre hat man sich getroffen, war gegenseitig auf den Geburtstagen der Kinder, et cetera.

Die Leute, die aus Kerala gekommen sind, waren ja auch zum größten Teil Christen. Also haben sich hier auch sehr schnell Strukturen gebildet zur Auslebung der eigenen Religion – es gibt ja in Indien mehr als nur katholisch und evangelisch. Also gab es dann zum Beispiel auch neben den Messen, die man immer besucht hat, einmal im Jahr das Pfarrfest in Köln, wo dann gefühlt alle Malayalis am Start waren. Es gab dann auch Tagungen in Hopsten, im Münsterland. Da warst du dann eine Woche an diesem Tagungsort auch nur mit Malayalis.

Wie hat sich das dann erweitert? Und wie bist du dann auf theinder.net gestoßen?

Also irgendwann mal gab es diesen Trend, dass alle ihre Kids zu Tanzlehrern geschickt haben. Und so bin ich mit acht Jahren zu einer tamilischen Tanzlehrerin nach Herne gekommen. Ich habe Bharata Natyam (Anm. d. Red.: ein klassischer südindischer Tanzstil) getanzt von acht bis sechzehn! Einmal im Jahr gab es dann so eine Art Werkschau. Die Tänze, die man gelernt hat, hat man dann aufgeführt. Und das war hauptsächlich vor der tamilischen Community.

Mit zwölf, dreizehn habe ich Hiphop für mich entdeckt. Ich habe Kris Kross gesehen und dachte: Sowas will ich auch machen! Und ich dachte damals, dass Hiphop nicht der Rap ist, sondern der „Running Man“ (Anm. d. Red.: Tanzschritt aus dem HipHop). Und den habe ich bis zum Erbrechen getanzt (lacht). Das heißt, ich habe mich in Musik reingefuchst und irgendwann fingen dann auch so Partys und so weiter an. Das war dann die Zeit, in der Malayalis Partys geschmissen haben. Aber da waren dann auch immer mal so ein paar Tamilen am Start. Und theinder.net war zu dieser Zeit auch dann irgendwann einfach da (Anm. d. Red.: 2000/01). Für mich ein Phänomen, das parallel zu den Partys stattgefunden hat. Und diese Partys waren zum ersten Mal etwas, von dem man ein Teil war, auf dem nicht nur Malayalis waren. Dieses Abschotten war nämlich auch so ein NRW-Ding: Man hatte irgendwie nichts mit anderen Communitys zu tun. Ich weiß, dass das in Frankfurt anders war. Da war das ein bisschen vermischter.

Und auf diesen Partys war das anders. Da kamen dann Leute aus allen Ecken Deutschlands. Und theinder.net war sowas wie das erste Lebenszeichen, das unabhängig davon, in welchem indischen Bundesstaat die eigene Herkunft lag, auf einmal visuell und lesbar am Start war!

Und dann kam ich irgendwann mal dazu, diesen Artikel zu schreiben, dieses Interview… Ich habe auf einer Party Sherry Kizhukandayil aus Heidelberg kennengelernt. Wir haben uns auf Anhieb verstanden, weil wir musikalisch die gleichen Interessen hatten. Ich hatte damals meine Band und war aus heutiger Sicht halbprofessionell am Start. Und ich glaube, dass Sherry vorher schon Sachen für theinder.net gemacht hatte. Er meinte dann: „Apache Indian ist in Amsterdam – hast du Bock?“ Und dann sind wir nach Amsterdam und haben Apache Indian interviewt! Das war für mich ein ultra besonderer Moment. Ich war auch echt star-struck, weil Apache Indian mein erstes Idol war. Das war der erste braune Typ, der irgendwas Cooles gemacht hat. Das hat mich innerlich dahingezogen, auch so etwas zu machen. Und dieses Interview war übrigens auch das allererste Interview, das ich jemals geführt habe. Für mich persönlich eines der Wichtigsten und danach folgten jede Menge. Deshalb habe ich über dieses Interview diese Verbindung zu theinder.net, weil ich hier das erste Mal als Autor tätig geworden bin.

Das freut uns!

Indisch- oder südasiatisch-stämmige Künster reiten im Westen ja derzeit auf einer Welle des Erfolges. Zum Beispiel der Comedian Aziz Ansari seit einigen Jahren oder Hasan Minhaj, der letztes Jahr vom Time Magazin zu den Top 100 einflussreichsten Persönlichkeiten gezählt wurde. Und jetzt Mindy Kaling mit ihrer Netflix-Serie „Never Have I Ever. Woher kommt dieser Boom?

Es gibt natürlich – ich nenne das mal so – ein Vakuum. Vorher haben Brown People mehr oder weniger nicht existiert. Und jetzt über ein paar Jahre hinweg gibt es so eine Riege von Brown People, die richtig krassen Shit machen. Also „Inder“, die richtig krassen Shit machen. Nicht so Token Shit, sondern real accessible Shit. Nimm jetzt einen Russell Peters zum Beispiel, der ein sehr erfolgreicher Comedian ist, und gut ist, in dem was er macht. Aber im Endeffekt bedient er die Stereotype. Und in der Zeit, wo er angefangen hat, ging das vielleicht auch gar nicht anders. Ich mag ihn über Strecken, aber Russell Peters ist zum Beispiel – und ich will ihn nicht komplett auf dieses Niveau runterbringen – aber er hat einige Witze, die auf Mario Barth Niveau sind (lacht).

Heute hast du auch Comedians, bei denen funktioniert das anders. Mindy Kaling in „The Mindy Project“: klar ist sie eine Woman Of Colour, aber das ist gar nicht so ein krasses Thema in der Serie. Viel mehr Thema ist, dass sie eine Frau ist, und zwar eine eher etwas rundlichere, als eine schlanke Frau. Und sie hat im Endeffekt die gleichen Probleme wie ihre weißen Counterparts. Sie hat sich diese Serie geschrieben, damit sie so eine Rolle haben kann. Und dann schreibt sie „Never Have I Ever“, das in der indischen Community stattfindet. Also anteilig in einem indischen Haushalt. Und wenn du aus so einem Haushalt kommst, merkst du, auch wenn du das Gefühl hast, dass es Parallelgesellschaften sind, dass es da diese Gleichzeitigkeit gibt. Wenn du in Deutschland so ein Pfarrfest hast und da sind zu 99% nur Mallus (Anm. d. Red.: Malayalis), dann ist das natürlich so ein Parallel-Ding, aber es findet in Deutschland statt und man unterhält sich da auf Deutsch, nicht auf Malayalam, und so weiter.

.…Und die bringen alle ihren deutschen Alltag und ihr deutsches Leben mit

Genau. Es ist eigentlich eine Sache, die in der Form auch deshalb ein unglaublich deutsches Ding ist, weil es ein Teil deutscher Realität ist. Und die Sachen, die in dieser Serie gezeigt werden, sind ein Teil amerikanischer Realität. Einer Realität, in der halt eingewandert wird, in der Einwanderung Teil der Gesellschaft ist und in der dann das Leben ein Amalgam verschiedener kultureller Erfahrungen wird. So wie du ja mal meintest, dass dein Vater wenig Wert darauf gelegt hat, dass du die Sprache lernst, während man in anderen Familien die Sprache gelernt hat, weil die Eltern gar nicht anders mit einem geredet haben. Und im Endeffekt, wenn jetzt ein „weißer Deutscher“ auf uns gucken würde, dann würde er uns in denselben Topf stecken. Aber für uns, in unserem Mikrokosmos gibt es – abgesehen davon, dass wir natürlich als Individuen zwei Realitäten haben – allein dadurch, dass unsere Eltern aus verschiedenen Teilen Indiens kommen, einen Unterschied zwischen uns, den du und ich checken.

Wenn wir uns jetzt auf der Straße begegnen oder zum Beispiel auf einer indischen Party, dann passiert das ja unter der Prämisse, dass wir beide „Inder“ sind und dass uns das irgendwie verbinden soll. Das ist doch eigentlich total ausgedacht, oder?

Also Indien ist ja ausgedacht. Indien an sich ist ja von den Europäern ausgedacht. Indien als Idee oder als Konstrukt nicht, aber als Nation. Die „Nation Indien“ gibt es ja tatsächlich erst durch die Unabhängigkeitsbewegung…

Du meinst Nation“ im Sinne von „Nationalstaat“…

Genau, richtig. Aber was waren wir denn vorher? Vorher waren wir im Endeffekt verschiedene Königreiche…

Ja, aber das war ja auch in Europa nicht anders. Es gab nie sowas wie „Deutschland“ oder „Frankreich“. Das waren höchstens Königreiche, Verwaltungszonen. Aber mit dem Nationalstaat verbunden ist ja diese Vorstellung, dass die Menschen, die in einer Verwaltungseinheit leben alle zu einer homogenen Masse gehören. Das ist ja ein Gedanke, der vielleicht 300 Jahre alt ist, also ziemlich neu – und auch völlig ideologisch konstruiert.

Genau, und den Gedanken haben die Europäer quasi nach Indien mit rübergebracht. Und dann kamen die Anthropologen und haben gesagt: „Ach guck mal, die haben hier so viele Tempel. Die sehen alle gleich aus.“ Denen war scheißegal, dass das eine ein Shiva-Tempel war und das andere irgendetwas anderes.

Ja. Es ist genauso random, dass es einen Begriff gibt für eine Religion namens „Hinduismus“. Man hätte auch sagen können, in Indien gibt es eine Million Religionen …

Das stimmt. Die teilen sich aber eine Geschichte.

Indien ist sicherlich nicht das, was wir in Europa unter einer „Nation“ verstehen. Aber es gibt doch einen Kulturraum Indien und das Bewusstsein für diesen Kulturraum, oder?

Ja, es gibt natürlich einen Wahrnehmungsraum. Und natürlich gab es diese Idee von „Bhārata“ (Anm. d. Red.: der mythologische Name des Subkontinents und heute der Name des Staates Indien in den meisten indischen Sprachen), diesem Kulturraum. Und unter den Moguln war das auch alles eins. Es gab auch Indien als gemeinsamen Raum, gemeinsame Fläche, regiert von einem Mogul-Kaiser – in seiner Hoch-Zeit von Akbar, der ja auch ein sehr fortschrittlicher Herrscher war, weitaus fortschrittlicher als die indische Regierung heute.

Aber dieser Versuch des „Eins-Machens“, also zu sagen: „das ist jetzt Hinduismus“, diese Definition gab es vorher nicht, weil es auch keinen Bedarf danach gab. Es war völlig okay zu sagen: „Ich fröne diesem Gott“, „Und ich fröne dem anderen Gott“. Und die Idee von Religion, Glauben zu praktizieren und Glauben als etwas anderes als mein Leben zu definieren – das gab es in Indien vorher nicht. Weil Religiösität oder Spiritualität – ich will es gar nicht Religiösität nennen – Spiritualität Teil des Lebens war. Und das ist eben der wesentliche Unterschied. Mein liebstes Beispiel ist: Du brauchst in der katholischen Kirche immer jemanden, der von Gott auserwählt ist und als Vermittler von Gott dich und deine Frau verheiratet. Im Hindusimus brauchst du das nicht. Du kannst in den Tempel gehen und das zwischen Gott dir und deinem Partner ausmachen. Klar gibt es dieses ganze Drumherum mit Horoskopen und so weiter. Aber du kannst im Endeffekt auf all das scheißen.

Du musst ja nicht mal an Gott glauben als Hindu…

Da weiß ich jetzt nicht ganz genau bescheid wie das ist. Aber du musst es nicht ausleben…

Du bist Hindu, weil du in bestimmte Strukturen hineingeboren wirst. Nicht, weil du an etwas glaubst oder weil du etwas dafür getan hast. Moslem wirst du, indem du ein Bekenntnis ablegst; um Christ zu werden, musst du dich taufen lassen. Aber Hindu bist du einfach. Es ist keine Religion. Es ist eine Ideologie würde ich sagen.

Genau. Ideologie passt eigentlich am besten. Ideologie oder Lebensweise. Eine Entscheidung, auf eine bestimmte Art und Weise zu leben.

Und um noch mal zurückzukommen auf unser Dasein und das Dasein der Inder in den Staaten: das ist das Tolle in der Serie „Never Have I Ever“ von Mindy Kaling, dass sie diese Brücke schlägt, dieses Amalgam von Gleichzeitigkeit einer westlichen und einer südasiatischen Kultur. Ich habe mich total angesprochen gefühlt. Ich weiß, seit ich zwölf bin, dass ich Rapper werden will, also quasi eine Kultur ausüben wollte, die geprägt ist von Schwarzen. Du kannst dir ja vorstellen, wie wenig indische Eltern damit anfangen können. Genauso wie die ja auch den Musikantenstadl nur bedingt verstehen (lacht). Und parallel zu dem Zeitpunkt habe ich ja schon fünf Jahre Bharata Natyam gemacht. Und irrsinniger Weise hat mir das durch dieses Rhythmusgefühl – und wie wir ja erwähnt hatten: Die Breaks kommen von den Indern – natürlich geholfen, Rap zu verstehen, Rap über Rhythmus zu verstehen, weil Flow erst aus einer Abfolge von Rhythmus-Patterns entsteht.

Anyway, ich habe mich auf jeden Fall durch die Serie super angesprochen gefühlt. Vielleicht geht es vielen Malayalis so – ich war bis zum bestimmten Punkt eingeschränkt in meinen Freiheiten. Meine Eltern haben dieses Fass aufgemacht: „Wir sind Inder und die sind Deutsche.“ „Wir sind so und die sind so.“ Und „es gibt bestimmte Dinge, die machen wir nicht, die macht man als Inder nicht.“ Und „du als indisches Kind machst das nicht.“ Klar war mir das irgendwann scheißegal. Diese Serie hat mich deswegen komplett angesprochen.

Netflix-Serie "Never Have I Ever" von der US-amerikanischen Autorin, Comedian und Schauspielerin Mindy Kaling (re.)
Netflix-Serie „Never Have I Ever“ von der US-amerikanischen Autorin, Comedian und Schauspielerin Mindy Kaling (re.)

In „Never Have I Ever“ geht es vereinfacht gesagt um ein indisches Mädchen, dem das Indischsein Schwierigkeiten bereitet. Wieso guckt sich das jemand an, der zu Südasien keinen Bezug hat? Woher kommt dieser Erfolg südasiatischer Themen?

Es ist eine Coming-Of-Age Serie. Das funktioniert immer dadurch, dass sich da jemand durch Widerstände boxen muss als Teil des Erwachsenwerdens. Der Unterschied bei dieser Serie ist, dass die Hindernisse andere sind. Auch ein nicht-indisches Kind fühlt sich missverstanden. Pubertät funktioniert überall mehr oder weniger gleich. Das Ding ist am Ende eine amerikanische Story.
Es handelt von Menschen, die in Amerika landen. Deshalb meinte ich auch: Es ist keine reine Stereotype. Beispielsweise ist in der Serie die Mutter diejenige, die ein bisschen konservativer ist, aber der Papa ist ein Voll-Fan der amerikanischen Kultur. Der Bruch fängt schon damit an, dass der Erzähler von der Story John McEnroe ist, weil der Vater ein Riesen-John-McEnroe-Fan ist. Und diese Eltern oder auch unsere Eltern sind alle nicht befreit davon, dass nicht irgendwas aus der neuen Kultur in sie hineinschwappt, egal wie sehr sie versuchen, sich abzuschotten. Und das ist das Schöne an der Serie. Es ist nicht Apu, der da reingeschmissen wird bei den Simpsons und das Abziehbild der amerikanischen Vorurteile über Inder ist. Und es ist auch nicht wie der wohlhabende Raj bei “The Big Bang Theory” – da ist ja eh alles auf die Spitze getrieben. Sondern das sind – egal wie crazy die Figuren sind – alles lebensechte Figuren.

Das ist das eine. Aber abgesehen davon hatte ich letzt ein Gespräch mit einer Freundin, die im Film-Journalismus arbeitet. Wir haben über die Serie gesprochen und sie hat auch gesagt, dass es jetzt quasi so eine Inder-Welle gibt. Dass es tatsächlich gerade so einen Trend gibt, der nicht so ein Token-Shit-Ding ist. Das meine ich jetzt nicht wertend.

In dem Sinne, dass Menschen südasiatischer Herkunft in ihrem realen Umfeld stattfinden und sich nicht immer als ihr eigenes Klischee darstellen?

Genau, weil sie jetzt auch einfach die Möglichkeit haben.

Zum Beispiel Panjabi MC mit „Mundian To Bachke“: Es ist der größte indisch angehauchte Pop-Hit der Welt. Der Bekannteste. Ich nehme jetzt mal die ganzen Bollywood-Songs raus. Das ist das größte Crossover-Ding. Wenn du das spielst, erkennt es jeder sofort. Und du wirst noch wissen, wie viele Jahre der Tune in der Community schon lief, bevor er in die Charts kam. Und wir können das ja auch nachvollziehen, wie der da reingekommen ist: erst lief der ja in der Community. Weil unsere Community Hiphop und RnB Fans sind, haben Hiphop- und RnB DJs angefangen, das zu Ding zu zocken. Weil auch das Knight Rider Theme von Busta Rhymes schon am Start war und die Basis von dem ganzen Ding ein Hiphop Beat ist – dadurch, dass Panjabi MC ein Hiphop DJ ist.

In der britischen Community, wo Panjabi MC ja herkommt, war das schon immer ein Amalgam aus der Subkultur, die um die Leute herum war, in der sie aber irgendwie nicht stattfinden durften, und dem Indischen. Sie fanden es geil und machten ihr Ding draus. Und in Deutschland haben das bestimmte Leute aufgegriffen, DJ Sabu von der „Indian Night“ zum Beispiel. Aber als „Mundian To Bachke“ dann so übergeschwappt ist aus unserer Community raus, war das auf einmal so ein Token-Ding. Und das meine ich wertfrei.

Was meinst du hier mit „Token“ genau?

Token im Sinne von es steht alibi-mäßig für etwas. Und „Mundian to Bachke“ als Song war dann auf einmal so: Das ist Indien. Die Tumbi (Anm. d. Red.: Zupfinstrument aus dem Panjab), der schreiende Panjabi: Das ist Indien. Das meine ich mit „Token“. Wenn dann auf einmal eine Sache für alles steht.

Ok, und das was die neue Generation südasiatischer Künstler macht ist kein Token-Ding?

Genau. Weil eine Mindy Kaling als Südasiatin auch einfach inhaltlich was anderes macht als ein Hassan Minhaj oder als ein Aziz Ansari. Ein Aziz Ansari zum Beispiel, den habe ich über das Internet kennengelernt, als Teil der Truppe „Human Giant“, die zu dem Zeitpunkt eine MTV-Sendung hatte. Das hatte nichts mit seiner Herkunft zu tun. Aber er hatte natürlich so eine südasiatische Körperlichkeit und eines seiner ersten Stand-Up Bits, die bekannter geworden sind, handelte davon, dass er in M.I.A. verknallt war. Und das sind die Momente, wo dann so ein Migranten-Life durchkommt. Weil du verknallst dich eben nicht in Katy Price sondern in M.I.A. .
Und da geht es dann auch nicht so sehr um das Indische, aber er als Südasiate hatte dann mit M.I.A. so eine Projektionsfläche – die ja auch geschafft hat, ein Amalgam zwischen ihrer und der westlichen Kultur zu schaffen, ohne dass es Token-Shit ist. Jetzt habe ich das Gefühl, da passiert gerade etwas in der Breite. Und wo ich auch das Gefühl habe, ich will da mitmischen, weil das zum ersten Mal auf einer Ebene passiert, die mich auch repräsentiert.

Interessant…

Und wenn ich zum Beispiel die Bombay Boogie Nights (Anm. d. Red.: beliebte indische Partyreihe organisiert von Sherry Kizhukandayil aus Heidelberg, die seit 2002 etwa 10 Jahre lang Bestand hatte) nehme: klar haben wir Bhangra und Bollywood gespielt, aber eben nur als Teil eines großen und ganzen Sounduniversums. Nachdem Sherry mit der Partyreihe “Sounds of the Taj Mahal” angefangen hat und er die Bombay Boogie Night gründete, war er nach einiger Zeit wahrscheinlich der bekannteste Promoter aus Deutschland und wir die im Ausland bekannteste Party aus Deutschland, weil er diese ganzen Acts hierher gebucht hat, die wir geil fanden. Die ganzen UK Radio Presenter, oder BBC Asian Network Legenden wie Bobby Friction und Nihal zum Beispiel.
Er war der erste, der Panjabi MC rübergeholt hat. Sherry ist der Grund – das wissen die wenigsten – warum Panjabi MC Major gegangen ist. Er hatte damals Panjabi MC zu Superstar Recordings gebracht, die ein Sublabel von Universal Music waren – soweit ich das im Kopf habe. Und als Panjabi MC Gold gegangen ist, hat Sherry nicht mal eine Einladung bekommen. Sherry ist der Grund, warum wir dieses Apache Indian Interview gemacht haben. Und wegen ihm bin ich als MC und Moderator auf die größten Holi Festivals gekommen (Anm. d. Red.: Holi Festival of Colours; Partyreihe, auf der Sola Plexus mit dem Bombay Boogie Sound System als MC auftrat) gekommen. Und auf der Bombay Boogie Night und bei dem Soundsystem lief halt eben nicht, was alle für indische Musik gehalten haben. Bei uns lief einfach alles, was indisch geprägt war oder aus indischen Händen kam. Wir waren insgesamt super elektronisch.

Sola Plexus Auftritt mit dem Bombay Boogie Soundsystem im Rahmen des Holi Festival of Colours, Foto: Juan Gacitua Garrido, Santiago de Chile
Sola Plexus Auftritt mit dem Bombay Boogie Soundsystem im Rahmen des Holi Festival of Colours, Foto: Juan Gacitua Garrido, Santiago de Chile

Was gibt es für aktuelle Beispiele aus der Musik-Szene?

Jetzt zum Beispiel ist ein Act rausgekommen über Warner UK: Priya Ragu, eine Tamilin aus der Schweiz. Ihr Bruder nennt sich Japhnagold und produziert sie. Sie ist befreundet mit dem Rapper Oddisee. Auch sie hat eine südasiatische Story. Die Eltern waren streng und wollten nicht, dass sie Sängerin wird, obwohl ihr Vater mit ihr und dem Bruder auf Veranstaltungen für die eigene Community singend und spielend auftraten.
Erst ist ihr Bruder Musiker geworden. Und dann hat sie gesagt: „ich werde auch Musikerin“, hat den Job geschmissen, ist nach New York gegangen, hat sich bei Oddisee eingeschlossen und zehn Tracks geschrieben. Und jetzt hat sie ihre erste große Single raus, die auch auf dem Soundtrack des neuen FIFA-Spiels (Anm. d. Red.: Das Videospiel FIFA 21) ist. Der Song heißt Good Love 2.0 und der Beat, von ihrem Bruder produziert, klingt total nach Kaytranada. Sie singt drauf und hat eine super eigene coole Stimmfarbe. Am Ende gibt es einen kleinen Instrumentalpart mit ein paar indischen Samples. Das Video ist eine schöne Mischung: es ist irgendwie indisch und gleichzeitig sehr international. Sie kommt aber eigentlich vom klassischen RnB und rappt auch… also Crazy Shit.

…Muss ich definitiv mal reinhören…

Und auf Instagram folgen ihr zum Beispiel „Cartel Madras“, zwei Schwestern, beide gay, beide rappen und sind gesignt auf dem Label Sub Pop, was früher mal bekannt war, weil die den ganzen Seattle Grunge rausgebracht haben, unter anderem Nirvana. Seit mehreren Jahren haben Sub Pop ein unglaublich gutes Hiphop-Roster. Cartel Madras kommen aus Chennai, sind in die USA gezogen und dort Teil der Queer-Community und ich folge denen genau deswegen. Ich habe die beiden auch deswegen mitbekommen, weil ich Fan von einigen anderen wirklich guten Sub Pop Acts bin. Ich find es krass, dass ein tamilischer Queer-Act aus den USA der tamilischen Priya Ragu aus der Schweiz folgt, was auch wieder so eine neue Realität ist.

… Das sind ja auch wieder ganz viele verschiedene Identitäten, die da zusammenkommen und aus diesen vielen Identitäten überschneidet sich dann das Indische von Cartel Madras aus den USA mit dem Indischen von Priya Ragu aus der Schweiz…

Genau. Und ich finde so krass, dass diese Welt auf einmal so klein geworden ist. Ich meine, eines meiner größten Idole war Apache Indian, der Reggae-Artist gewesen ist durch und durch. Und diese indischen Einschläge beim ihm waren damals ja auch so ein bisschen token-mäßig, aber was nicht token-mäßig war: er war ein Reggae-Artist, ein Raggamuffin-Artist, was eine sehr britische Realität ist. Er ist in Birmingham aufgewachsen und da gab es indische Sounds. Und es gab jamaikanische Sounds. und es war unmöglich, dem zu entfliehen.

Und ich finde es krass, dass jetzt auf einmal alles so nah beieinander ist und dass so jemand wie Cartel Madras auf Instagram jemandem wie Priya Ragu folgen.

Inwieweit spiegelt sich denn deine indische Identität in deiner Musik?

Ich hatte immer das Gefühl, dass Leute bei mir das Indische irgendwie immer herausgehört haben, obwohl Sachen nie indisch klangen. Vielleicht haben die Leute das auch hinein imaginiert, weil sie gesehen haben, dass ich Inder bin. Aber für mich war das immer irgendwie ein Bestandteil. Teilweise auch Kleinigkeiten, dass ich zwischendurch so ein Wort indisch akzentuiert ausspreche oder so. Aber es ist auch immer Teil meiner Texte gewesen. Zum Beispiel ein Song von meiner letzten EP „Purple Frog Curly Leg“: „B.B.O.“, kurz für „Brown Boys Overcome“. Geschrieben als ein Hustle-Song im Sinne von „egal, was du uns in den Weg legst, wir kommen drüber hinweg“. Und da gibt es einen Part, in dem ich rappe: „Niggas in the 90s, then 9/11 Bin Ladens.“ Ich verwende das N-Wort nie – das ist der einzige Text von mir, in dem ich meine Beziehung zu diesem Wort verarbeite.
Es geht weiter mit „German dem differ Mondays from us now when they namecallin‘ „. Und das bezieht sich auf eine bestimmte Realität, die ich in Deutschland hatte: Wenn mich jemand in den Neunzigern beleidigen wollte, wurde ich „Neger“ genannt. Deswegen „Niggas in the ninetees“, weil es damals keinen Unterschied zwischen mir und einem Schwarzen gab für jemanden, der mich rassistisch beleidigen wollte. Dann kam der Anschlag auf das World Trade Center und auf einmal war ich ein Bin Laden. Und „Mondays“ kommt aus einem Comedy Bit von Russell Peters, wo er sagt, dass weiße Amerikaner mittlerweile slick mit ihren Beleidigungen sind. Russel erzählt, dass weil Weiße nich mehr das N-Wort sagen dürfen, sie andere Schimpfwörter erfinden. Und dann erzählt er, dass irgendjemand Schwarze „Mondays“ genannt hat, weil „nobody likes Mondays“. Und ich habe immer wieder diese Parts, die ich auf Inder beziehe, aber auch auf meinen Werdegang mit schwarzer Musik, einem Ort an dem ich Zuhause, aber auch gleichzeitig „nur“ Gast bin. Das mit den „Mondays“ ist also nicht da, um Schwarze zu beleidigen, sondern um auf Russel Peters zu kommen. Und so verarbeite ich meine indische Existenz im Kontext hiesiger und globaler Vorkommnisse und anderer Existenzen.

Diese indische Existenz gibt es tatsächlich in mir. Obwohl ich sehr deutsch bin und gleichzeitig auch sehr nicht-deutsch, ich auch durch und durch Künstler bin abseits von irgendeiner Herkunft, aber vornehmlich geprägt durch schwarze Kultur und in ihr arbeitend, ist da immer noch der Drang irgendwo ein indisches Sample unterzubringen. Dann habe ich da mal eine Sitar verarbeitet – aber nicht token-mäßig, sondern die funktioniert musikalisch. Und mir geht es um diesen neuen Vibe, der da ist. Sowas wie Cartel Madras, die ja überhaupt nicht indisch klingen. Deren Single heißt dann aber „Goonda Gold“. Und wenn du ein Inder bist, dann weißt du was ein „Goonda“ ist (Anm. d. Red.: Goonda ist Hindi für Gangster) – aber andere Leute wissen das nicht auf Anhieb.

Da kommen wir wieder zu meiner Essenz auch als Künstler: egal in welchen anderen Genres ich mich bewege, ich denke immer im Sample und im Loop. Auch meine indische Existenz, meine deutsche Existenz und meine sonstige Existenz denke ich immer in diesen Loops und als Samples.

Und da kommen wir jetzt wieder auf das ganze Große: im Endeffekt ist ja Identität nichts anderes als dieses Patchwork, als „das Zusammenstellen von“. Mein ganzes Leben besteht im Endeffekt daraus, dass ich grafische und auditive und Wissens-Samples – Wissen über die Welt – neu arrangiere. Was vielleicht jeder macht, aber für die anderen ist es keine Programmatik, sondern passiert einfach. Für mich ist es Programmatik, dieses Zusammenstellen sehr bewusst zu tun.

Du hast rassistische Erfahrungen angesprochen. Was können wir als Menschen südasiatischer Herkunft in Deutschland konkret dagegen tun?

Weil es mir mehr denn je wichtig ist, dass zu sagen: Black Lives Matter. Und ich meine damit, achtet auf eure Umgebung und schützt eure schwarzen Mitmenschen vor Rassismus und helft ihnen, wenn ihr es mitbekommt. Denn alles was ich, ihr oder wir als Rassismus in Deutschland erlebt haben, ist nicht außer acht zu lassen, aber ist im Gross richtig klein gegenüber dem, was die Mitglieder aus schwarzen Communitys hier oder auch überall anders erfahren.
Wenn es im Rassismus eine Hackordnung gibt, dann sind schwarze Menschen überall unten und dieses Denken findet auch in unseren Communitys statt. Dabei ist unsere Generation in der weltweiten Diaspora mit HipHop, dem Prince of Bel Air, der ganzen Sneaker und Kleidungskultur aufgewachsen und wir sind insgesamt stark geprägt durch schwarze Kultur. Da ist das Mindeste, dass wir uns weiterbilden, wachsam sind und unseren Beitrag gegen Rassismus, aber auch gegen Sexismus, Homophobie und Klassismus in unserer Gesellschaft leisten.

Ich danke dir für dieses interessante und sehr philosophische Gespräch!

Freunde des schnellen Raps und elektronischer Beats kommen mit der aktuellen Veröffentlichung von Sola Plexus, der EP „Purple Frog Curly Legs“ (Videoauskopplung „Digi Dirty Boom“ auf Youtube), auf ihre Kosten. Seine nächste eigene Scheibe „Ada Lovelaced“ wird voraussichtlich im nächsten Jahr erscheinen. Es wird seine zweite EP sein und auch die Ideen für die dritte stehen schon. Außerdem ist der MC als neues Mitglieder der Band Puppetmastaz, einer Puppen-Rap-Crew aus Berlin, auf den letzten beiden Singles zu hören. 
Anfang diesen Jahres sind zwei Debüt-LPs erschienen, auf denen er vertreten ist: „Internet“ der Chinesisch-Deutschen Produzenten-Crew C.O.W. mit dem Song „A.way“, wo es um den Selbstmord von Keith Flint, dem Sänger und Tänzer der Band „The Prodigy“, und das Thema Depressionen bei Künstlern geht. Sowie die Platte „Colors“ des Schweizer Produzenten Johnny Roxx mit dem Dancehall-Soca-Trap-Party-Brett „Bass To The Bumper“. Nachdem Sola Plexus bereits zu dem Track „Mind The Gap“ auf dem Album „Dark Shades, Bright Lights“ des Produzenten Dead Rabbit (produziert u.a. für den Rapper Marteria) seine Raps beigesteuert hat, schreibt er derzeit an einem Song für das zweites Album des Beat-Bastlers. Und auch unter seinem Namen Jamiro Vanta wird der Künstler in Zukunft von sich reden machen. Wir sind gespannt darauf.

Weiterführende Links:
https://www.solaplexus.de
instagram.com/solaplexus
fb.com/solaplexus
Jamiro Vanta @ Linked.in

Kristian Joshi
Kristian Joshi
Kristian Joshi ist Mitbegründer von theinder.net und zeichnet nach einigen Jahren Pause nun wieder für den visuellen Auftritt des Projektes verantwortlich. Nach langjähriger Tätigkeit in Design- und Werbeagenturen in Berlin und Hamburg ist er heute als freiberuflicher Art- und Kreativdirektor aktiv.

1 Kommentar

  1. Der Autor schreibt: „Das was man im Westen davon mitbekommt, scheint eher nordindisch geprägt zu sein. Auch sowas wie das Klischee vom turbantragenden Inder ist sehr nordindisch. Das Südindische kommt in diesem Bild gar nicht vor.“

    Dem widerspreche ich: die indische Tänzerin ist doch auch ein Klischeebild. Das ist in erster Linie bzw am häufigsten Bharatanatyam – klar südindisch.

    Dennoch würde mich historisch gesehen interessieren, warum der turbantragende Inder zum Symbolbild für Indien geworden ist??

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