Talvin Singh (54), der als Vater der modernen asiatischen Electronica bekannt ist, bleibt auch Jahrzehnte nach dem Beginn seiner Karriere eine unerschöpfliche Quelle musikalischer Innovation und Inspiration. Als Tabla-Spieler, DJ, Produzent und Klangkünstler hat der Londoner Musiker kulturelle Brücken geschlagen und das „Asian Underground“-Genre weltweit geprägt. In einem aktuelleren Interview mit dem Sunday Guradian sprach er über seine Wurzeln, seine Inspirationen, die Herausforderungen der Musiklandschaft und sein neuestes Album, das kurz vor der Veröffentlichung steht.
„Meine Liebe zur Musik entspringt meiner Sikh-Erziehung in London“, erzählt Singh. „Mein Großvater baute unser lokales Gurdwara, und das war mein erster spiritueller Kontakt zur Musik, besonders zur Tabla.“ Schon als kleiner Junge habe er auf dem Schoß seiner Großmutter getrommelt, während er die Tabla-Spieler beobachtete. Später begann er, Schallplatten zu sammeln, von ihnen zu lernen und deren Klänge zu imitieren. Doch die wahre Verbindung zur Tabla entstand, als er nach Indien kam. Mit 15 Jahren traf er seinen Guru, der ihn bis zu seinem Tod mit 96 Jahren begleitete. „Er sagte mir immer, dass der Guru in mir ist, egal wo ich mich befinde. Diese Worte hallen bis heute in mir nach.“
Singhs Beziehung zur Tabla geht weit über Technik hinaus. Sie ist spirituell und tief verwurzelt in seiner Lebensphilosophie. Sein Guru lehrte ihn „Thehrav“, die Kunst, Ruhe und Balance in die Musik zu bringen. „Nicht alles muss in Eile geschehen“, erklärt Singh. Dieser Gedanke prägt sein Schaffen, sei es in der klassischen indischen Musik oder in seinen experimentellen elektronischen Werken.
Rückblickend auf die Anfänge seiner Karriere in den 1990er-Jahren spricht Singh über die Veränderungen, die er in der Musikszene wahrgenommen hat. „Es geht darum, Raum zu verstehen – inspiriert von Technologie.“ Heute sei es möglich, durch digitale Mittel echte Stille in der Musik zu erzeugen, etwas, das im analogen Zeitalter aufgrund von Hintergrundgeräuschen kaum denkbar war. Dennoch empfindet er beide Ansätze als einzigartig und schön, wenn auch auf unterschiedliche Weise. „Die Technologie gibt uns neue Werkzeuge, aber sie verändert auch die Art und Weise, wie wir Klang wahrnehmen und erleben.“
In seinem künstlerischen Schaffen hat Singh immer wieder Städte als Inspirationsquellen genutzt, und Delhi nimmt dabei einen besonderen Platz ein. „Delhi hat einige der größten Komponisten und Visionäre hervorgebracht. Gleichzeitig ziehen viele talentierte Musiker nach Mumbai, was einen kreativen Verlust für die Hauptstadt bedeutet.“ Um dem entgegenzuwirken, hat Singh beschlossen, in Delhi ein hochmodernes Analogstudio zu eröffnen, das ein Ort für alles sein soll – von akustischen Aufnahmen bis hin zu indischer Klassik und Pop. „Delhi hat so viel Potenzial, aber es fehlt an Infrastruktur, Bühnen und Studios. Das möchte ich ändern.“
Singh, der für seine musikalischen Experimente bekannt ist, hat sich in den letzten Jahren intensiv der Surbahar gewidmet, einer tiefen Bass-Sitar. Diese Beschäftigung hat nicht nur sein Spiel auf der Tabla beeinflusst, sondern auch sein Verständnis von Musik erweitert. „Die Surbahar lehrt Disziplin und erfordert eine völlig andere Technik als die Tabla. Sie erinnert mich immer wieder an die Architektur und die Natur meiner Arbeit.“
Sein neuestes Album, das bald veröffentlicht wird, beschreibt Singh als „eklektisch und vielfältig, aber mit einem kohärenten roten Faden.“ Der kreative Prozess war für ihn fast wie eine Geburt: „Es fühlt sich an, als hätte ich etwas zur Welt gebracht. Jetzt ist es an der Zeit, es loszulassen.“ Obwohl der Name des Albums noch nicht enthüllt wurde, scheint es ein weiteres Beispiel für Singhs Fähigkeit zu sein, Genregrenzen zu überschreiten und gleichzeitig seiner künstlerischen Vision treu zu bleiben.
Talvin Singh ist längst mehr als nur ein Musiker – er ist ein Klangarchitekt, der mit seinen Werken neue Räume für kulturelle Begegnungen schafft. Von Kollaborationen mit Björk und Nusrat Fateh Ali Khan bis hin zu legendären Clubnächten im Londoner ANOKHA hat er immer wieder bewiesen, dass Musik mehr ist als Unterhaltung. „Es ist eine Reise“, sagt er. Eine Reise, die nicht nur ihn, sondern auch sein Publikum inspiriert und berührt.
Quelle: A conversation with Talvin Singh – The Sunday Guardian Live
Weiterführende Links:
- Fusion der Klänge: Wie Asian Underground die Musikwelt veränderte – theinder.net %
- Petra Klaus: „Der richtige Durchbruch kam natürlich mit Anokha“ – theinder.net %
Foto: Openverse