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Mi., 6. August, 2025
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„Salaam Bombay!“ als menschliches Zeitdokument

(nr) Mira Nairs Film Salaam Bombay! (1988) ist ein cineastisches Meisterwerk, das auch über drei Jahrzehnte nach seiner Entstehung nichts von seiner Kraft verloren hat. Mit schonungsloser Authentizität und großer erzählerischer Sensibilität bringt Nair dem Publikum das Leben der Straßenkinder in Bombay (heute Mumbai) näher – und verzichtet dabei bewusst auf romantisierende Verklärung oder kitschige Erlösungsmomente. Die Stärke des Films liegt gerade in dieser Haltung: Er rührt, ohne zu manipulieren, und berührt, ohne je belehrend zu sein.

Die Entstehungsgeschichte des Films ist so eindrucksvoll wie der Film selbst. Statt ein klassisches Drehbuch zu verfassen, begaben sich Mira Nair und ihre Ko-Autorin Sooni Taraporevala in die Straßen Bombays, führten Interviews mit Straßenkindern, beobachteten deren Alltag in Bahnhöfen, Bordellen und Hinterhöfen – und entwickelten daraus ein Drehbuch, das auf realen Lebensgeschichten basiert. Viele der Kinder, die später in den Filmrollen zu sehen sind, lebten tatsächlich auf der Straße. Durch intensive Workshops wurden sie nicht zu Schauspieler:innen im herkömmlichen Sinn, sondern lernten, sich vor der Kamera natürlich zu verhalten – ein Konzept, das dem Film seine unglaubliche Echtheit verleiht.

Im Mittelpunkt steht der etwa elfjährige Krishna, genannt Chaipau, gespielt vom bemerkenswert natürlichen Shafiq Syed. Nachdem der Zirkus, in dem er arbeitet, ohne ihn weitergezogen ist, schlägt er sich allein nach Bombay durch. Dort beginnt er, als Teejunge im Rotlichtviertel zu arbeiten. In der rauen, chaotischen Welt der Großstadt trifft er auf andere Straßenkinder, Prostituierte, Drogensüchtige und Gestrandete – Menschen am Rand der Gesellschaft, deren Leben Nair mit großer Empathie, aber ohne falsches Mitleid ins Zentrum stellt.

Besonders hervorzuheben ist die kraftvolle, fast dokumentarische Bildsprache. Der gesamte Film wurde an Originalschauplätzen mit versteckten Kameras gedreht – nie in Studios oder auf Kulissen. Dadurch entsteht eine atmosphärische Dichte, die das Publikum mitten ins Geschehen versetzt. Trotz der farbenfrohen Kulisse spürt man die Härte des Lebens förmlich: den Schmutz, die Hitze, den Lärm – und vor allem die Ausweglosigkeit. Dennoch gelingt es Nair, auch Momente der Zärtlichkeit, Freundschaft und Hoffnung sichtbar zu machen.

Ein zentrales Motiv ist die Unsichtbarkeit des Staates im Leben dieser Kinder – bis er am Ende in Form von Polizei, Jugendamt und Strafvollzug brutal eingreift. Was zu Beginn wie ein freies, wenn auch hartes Leben wirkt, entpuppt sich als System ohne Ausweg. Es gibt keinen sicheren Ort, weder auf der Straße noch in den Institutionen. Und doch zeichnet Nair keine nihilistische Welt. Vielmehr zeigt sie ein Netzwerk aus gegenseitiger Unterstützung und Gemeinschaft unter den Kindern – ähnlich wie in den Erzählungen von Charles Dickens, mit denen der Film mehrfach verglichen wurde.

Salaam Bombay! ist ein Film, der bleibt – in seiner visuellen Kraft, seiner schauspielerischen Echtheit und seiner moralischen Tiefe. Er ist eine filmische Anklage ohne Pathos, ein Aufschrei ohne Phrasen. Und er ist vor allem eines: ein zutiefst menschlicher Film, der das Publikum nicht in Ruhe lässt – im besten Sinne.

Nina Rao
Nina Rao
Nina studiert an der TU Dortmund und interessiert sich für den indischen Film. Gut gemachte Bollywoodfilme haben es ihr besonders angetan. Seit 2024 schreibt sie für theinder.net hauptsächlich Bollywood-Filmkritiken, die sie in deutschsprachigen Medien immer noch für unterrepräsentiert hält...

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