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Fr., 7. November, 2025
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Fake-Wähler und verwehrtes Stimmrecht – Wer zählt in Bihar?

Im ostindischen Bihar, dem Bundesstaat mit dem geringsten Pro-Kopf-BIP und niedrigsten Human Development Index des Landes, fand am 6. November die erste Phase der Wahl eines neuen Regionalparlaments statt. Insgesamt rund 74 Millionen Bürgerinnen und Bürger sind aufgerufen, über die Zusammensetzung der 243 Sitze der Vidhan Sabha (Landtag) zu entscheiden – eine Wahl, die als wichtiger Stimmungstest für Premierminister Narendra Modi gilt und unter der die grundlegende Frage nach der Legitimation der indischen Demokratie schwelt.
Ländliche Szene bei Bodhgaya: Das arme Bihar ist reich an Geschichte und gilt als die Wiege des Buddhismus. (Foto: (c) theinder.net)

Die regierende National Democratic Alliance (NDA), angeführt von der Bharatiya Janata Party (BJP) und ihrem Bündnispartner Janata Dal (United) unter Ministerpräsident Nitish Kumar, setzt auf Kontinuität und wirtschaftliche Entwicklung. Herausgefordert wird sie von der Mahagathbandhan mit Spitzenkandidat Tejashwi Yadav, der „Großen Allianz“ aus Rashtriya Janata Dal (RJD), Kongresspartei (INC) und mehreren linken Parteien, die den wachsenden sozialen Unmut und die hohe Arbeitslosigkeit zum Wahlkampfthema macht. Die Stimmabgabe findet in zwei Phasen am 6. und 11. November statt; die Auszählung ist für den 14. November vorgesehen.

Doch im Vorfeld der Wahl erhitzte ein anderes Thema die Gemüter: Wer zählt in Bihar überhaupt als Wähler – und wie stabil ist die Grundlage, auf der Indiens Demokratie ruht?

Voraus ging dem Urnengang ein Streit um das Wählerregister. Die Election Commission of India (ECI) hat im Sommer 2025 eine „Special Intensive Revision“ (SIR) angeordnet – ein Verfahren, das auf den ersten Blick nach bürokratischer Routine aussieht, in der Praxis jedoch das Fundament der Demokratie berührt. Offiziell soll die Revision Doppelregistrierungen, veraltete Einträge und Falschangaben bereinigen. Tatsächlich ist sie zu einer der heikelsten Auseinandersetzungen des Landes geworden: zwischen dem Anspruch auf saubere Register und der Angst, dass Millionen Bürgerinnen und Bürger ihr Wahlrecht verlieren könnten.

Nach Angaben der ECI wurden im Zuge der Überprüfung mehr als 65 Lakh (rund 6,5 Millionen) Einträge in den Wahlverzeichnissen Bihars als „unauffindbar“, doppelt, verstorben oder fehlerhaft markiert – etwa acht Prozent der gesamten Wählerschaft. Diese Zahlen sind beachtlich. Sie stützen die Einschätzung, dass die Listen erhebliche strukturelle Mängel aufwiesen, die eine Revision rechtfertigen. Auch unabhängige Medien wie The Reporters’ Collective und The Wire hatten Fälle dokumentiert, in denen identische Personen unter leicht veränderten Daten mehrfach registriert waren oder ganze Gruppen unter derselben Adresse geführt wurden. In einem Wahlkreis sollen 24 Wählerinnen und Wähler unter derselben Anschrift eingetragen gewesen sein, in einem anderen fanden sich doppelte Identitäten mit nahezu identischen Namen und Geburtsdaten. Derartige Unregelmäßigkeiten gefährden die Glaubwürdigkeit eines demokratischen Wahlakts.

Die Wahlkommission argumentiert, sie handle im Interesse der Transparenz. Nach eigenen Angaben sei die SIR die umfassendste Überprüfung der letzten Jahre. Haus-zu-Haus-Verifikationen, digitale Einreichungsformulare und die Einbindung von Parteivertretern auf Booth-Ebene (der untersten wahladministrativen Ebene) sollten sicherstellen, dass kein berechtigter Wähler ausgelassen wird. Auch der Supreme Court of India hat den Prozess grundsätzlich gebilligt. In einer Anhörung erklärte das oberste Gericht, man habe „keinen Zweifel daran, dass die ECI ihrer Verantwortung nachkommt“ und die finalen Listen veröffentlichen werde. Gleichzeitig ordnete es an, dass die Kommission eine vollständige Liste der gestrichenen Einträge inklusive Begründungen offenlegt. Ein Schritt, der erst auf gerichtlichen Druck erfolgte.

Kritiker sehen genau hier das Problem: nicht das Ziel ist umstritten, sondern das Verfahren. Für die politische Opposition, für Aktivisten wie den Politikwissenschaftler Yogendra Yadav und für zahlreiche NGOs ist die Bereinigung der Listen in ihrer jetzigen Form eine „Waffe der Verwaltung“, um unliebsame Wähler loszuwerden. Sie verweisen darauf, dass die Fristen knapp bemessen und die Anforderungen an Nachweise hoch gewesen seien. Wanderarbeiter, Tagelöhner, ältere Menschen oder Personen ohne feste Adresse – sie alle hätten kaum die Möglichkeit gehabt, ihre Registrierung rechtzeitig zu bestätigen oder Einwände einzulegen. Nach Berechnungen zivilgesellschaftlicher Gruppen könnten dadurch Hunderttausende, vielleicht Millionen, de facto aus dem Wählerverzeichnis gestrichen worden sein – Yadav spricht sogar von bis zu 47 Lakh (4,7 Millionen) Fällen. Auch die Zahlen selbst geben Anlass zu Skepsis. Laut einer Untersuchung des Reporters’ Collective blieben trotz der Bereinigung weiterhin über 14 Lakh (1,4 Millionen) mutmaßliche Doppelregistrierungen im System. Weitere 1,3 Crore (13 Millionen) Einträge sollen unplausible oder unvollständige Adressen enthalten. Das legt nahe, dass die Reinigung der Listen nicht nur zu Ausschlüssen, sondern auch zu neuen Fehlern geführt hat – eine doppelte Hypothek für die demokratische Legitimation.

Die Wahlkommission betont, der Prozess sei „wählerfreundlich“ angelegt und Fehler in Entwurfslisten würden laufend korrigiert. Tatsächlich wurden mobile Informationskampagnen gestartet und betroffene Bürgerinnen und Bürger aufgefordert, Nachweise nachzureichen. Doch für viele Menschen in einem Bundesstaat, dessen Bevölkerung zu großen Teilen in Armut lebt und in dem Millionen als Arbeitsmigranten regelmäßig den Wohnort wechseln, ist das leichter gesagt als getan. Wer auf Baustellen in Delhi arbeitet oder in Mumbai Rikscha fährt, erfährt womöglich gar nicht, dass sein Name in Bihar aus dem Register verschwunden ist.

Viele Berichte, vor allem in sozialen Medien und in Teilen der Presse, zogen vorschnelle Parallelen zwischen der Special Intensive Revision (SIR) in Bihar und dem NRC (National Register of Citizens), wie es in Assam zwischen 2013 und 2019 stattgefunden hatte. Dadurch entstand der Eindruck, es gehe um eine Überprüfung der Staatsbürgerschaft. Nach dem NRC-Desaster in Assam, bei dem Millionen Menschen als „zweifelhaft“ eingestuft wurden und in der Folge darum fürchten mussten, als staatenlos zu gelten, reagierte die Öffentlichkeit in ganz Indien extrem sensibel auf alles, was nach „Überprüfung“ oder „Dokumentennachweis“ klingt.

In dieser Gemengelage geraten zwei demokratische Prinzipien aneinander. Auf der einen Seite steht das legitime Bedürfnis nach Integrität: Niemand soll mehrfach abstimmen können, keine fiktive Identität soll den Wahlprozess verzerren. Auf der anderen Seite steht das Prinzip der Inklusion: Jede wahlberechtigte Stimme muss gezählt werden, unabhängig von sozialer Stellung, Mobilität oder Dokumentenlage. Der indische Wahlakt, der sich auf Artikel 324 der Verfassung und den Representation of the People Act stützt, verlangt beides: Sauberkeit der Listen und Gleichheit der Teilhabe.

Die Debatte in Bihar zeigt, wie schwer dieses Gleichgewicht zu halten ist. Dass der Supreme Court Transparenz einfordert, spricht für die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats. Doch die eigentliche Herausforderung bleibt administrativ: Wie kann eine Wahlkommission mit begrenzten Mitteln ein Wählerregister von mehr als siebzig Millionen Menschen führen, ohne jene zu verlieren, die ohnehin kaum registriert sind?

Am Ende dieser Revision steht daher ein ambivalentes Fazit. Bihar hatte zweifellos ein Problem mit fehlerhaften und doppelten Einträgen. Die Bereinigung war notwendig und demokratisch geboten. Doch das Verfahren, mit dem sie umgesetzt wurde, birgt selbst demokratische Risiken. Eine saubere Liste nützt wenig, wenn sie um den Preis von Millionen ausgeschlossenen Stimmen erkauft wird. Die Wahlkommission muss künftig nicht nur messen, wie viele Dubletten sie entfernt, sondern auch, wie viele berechtigte Wähler sie zurückgewinnt. Transparenz, Nachvollziehbarkeit und niedrigschwelliger Zugang sind die eigentlichen Prüfsteine demokratischer Hygiene. Eine Demokratie lebt nicht nur von korrekten Zahlen, sondern von dem Vertrauen, dass hinter jeder Zahl ein Mensch steht, der gehört wird.

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