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Aparna Donekal verfügt über fast zwei Jahrzehnte Erfahrung in der internationalen IT-Rekrutierung. Sie hat erfolgreich die Top 1 % der indischen Tech-Talente für globale Konzerne gewonnen und gilt als führende Expertin, wenn es darum geht, indische Expertise mit westlichen Märkten zu verbinden. In diesem aufschlussreichen Interview erklärt sie, warum indische IT-Spezialisten weltweit so stark gefragt sind, welche Strategien hinter der erfolgreichen Ansprache von Spitzenkräften stehen und welche besonderen Chancen sich für deutsche Unternehmen eröffnen. Außerdem zeigt sie auf, weshalb Integration – und nicht allein Rekrutierung – der entscheidende Erfolgsfaktor für langfristige Bindung ist.
Frau Donekal, mit fast zwei Jahrzehnten Erfahrung in der internationalen IT-Rekrutierung: Wie gehen Sie vor, wenn Sie Indiens Top 1 % Tech-Talente für globale Branchenriesen gewinnen? Welche Schritte sind entscheidend – von der Suche bis zum Onboarding – und wie schaffen Sie das Vertrauen, das Spitzenkräfte von einem Wechsel überzeugt?
Nach fast zwanzig Jahren in der internationalen IT-Rekrutierung habe ich einen systematischen Ansatz entwickelt, der weit über klassische Methoden hinausgeht – gerade, wenn es um Indiens Top-Talente geht. Die wichtigste Erkenntnis ist: Diese Fachkräfte sind nicht aktiv auf Jobsuche – sie werden gezielt abgeworben.
Mein Prozess basiert auf einer Fünf-Säulen-Sourcing-Strategie. Den Anfang macht ein intelligenter, datengetriebener Ansatz: Mit umfassender Marktanalyse kartiere ich das Talent-Ökosystem – von Unternehmen wie Flipkart oder Zomato bis hin zu aufstrebenden Unicorns. Man muss wissen, wo die besten Leute sind, noch bevor sie selbst über einen Wechsel nachdenken. Danach folgt die mehrstufige Ansprache. Statt sofort mit einem Angebot zu kommen, baue ich über verschiedene Kontaktpunkte Vertrauen auf: durch Branchen-Insights, technische Inhalte und Karrieregespräche, bevor ich schließlich die passende Gelegenheit vorstelle.
Ein weiterer wichtiger Schritt ist die umfassende Bewertung. Für globale Konzerne reicht technisches Können nicht aus. Ich prüfe auch kulturelle Anpassungsfähigkeit, Führungsqualitäten, Problemlösungsmentalität und internationales Mindset. So stelle ich sicher, dass Kandidaten auf die globale Bühne vorbereitet sind. Zentrales Element ist außerdem der Beziehungsaufbau. Ich positioniere mich nicht als klassische Recruiterin, sondern als Karriereberaterin, die langfristige Ziele versteht und passende Chancen vermittelt. Schließlich lege ich großen Wert auf ein hochwertiges Onboarding: transparente Kommunikation, reibungslose Abstimmung über Zeitzonen hinweg und Interviewprozesse, die der Expertise dieser Spitzenkräfte gerecht werden.
Das Ergebnis sind langjährige Partnerschaften: Viele dieser Fachkräfte kommen immer wieder auf mich zu, weil sie wissen, dass ich nicht nur einen Job vermittle, sondern Karriereschritte, die ihre Ambitionen mit globalen Chancen verbinden.
Indien ist bekannt für seine Elite-Tech-Institutionen. Wo aber finden Sie die verborgenen Talente? Geht es immer nur um IITs und IIMs – oder gibt es unentdeckte Pools abseits dieser Namen? Welche Strategien funktionieren am besten, um High Potentials frühzeitig zu identifizieren?
Einer der größten Fehler im Recruiting ist, sich zu sehr auf bekannte Hochschulmarken zu fixieren. Natürlich liefern IITs und IIMs hervorragende Absolventen – doch viele der innovativsten und loyalsten Fachkräfte stammen aus weniger prominenten Hintergründen.
Ich schaue gezielt auf Hochschulen wie BITS Pilani, VIT Vellore, PES Bangalore oder MSRIT, die konstant starke Problemlöser hervorbringen, meist mit weniger Eitelkeit und geringerer Fluktuation. Darüber hinaus suche ich nach Kandidaten mit unkonventionellen Wegen: Autodidakten, Open-Source-Beitragenden oder Startup-Veteranen, die vielleicht auch schon gescheitert sind, aber dabei wertvolle Erfahrungen und Resilienz gesammelt haben. Auch Tier-2-Städte wie Pune, Kochi oder Mangalore sind ergiebige Talentpools mit hoher Loyalität und Stabilität.
Wie identifizieren Sie diese Talente?
Frühzeitig finde ich sie über fähigkeitsbasierte Assessments wie Hackathons, Coding-Challenges oder Portfolio-Diskussionen. Hier zeigt sich, wie jemand denkt – nicht nur, was er auswendig gelernt hat. Zusätzlich nutze ich Netzwerk-Analysen, etwa über Empfehlungsprogramme, um versteckte Talente aufzuspüren.
Die Realität: Während IIT/IIM-Absolventen oft mehrere Angebote und hohe Erwartungen haben, überflügeln die „Hidden Gems“ sie nach zwei bis drei Jahren häufig in Leistung und Loyalität. Wer Neugier, Problemlösungsfähigkeit und Umsetzungsstärke höher bewertet als Prestige, entdeckt die wirklich wertvollen Kandidaten.
Wie entwickelt sich die IT-Talentlandschaft in Indien – gerade mit KI, Remote Work und globaler Mobilität? Ziehen mehr Fachkräfte ins Ausland, oder gibt es weiterhin eine starke Bindung an indische oder hybride Unternehmen? Wie haben sich die Erwartungen in den letzten Jahren verändert?
Wir erleben derzeit den talentgetriebensten IT-Arbeitsmarkt in der Geschichte Indiens. Das Machtverhältnis hat sich endgültig zugunsten der Fachkräfte verschoben – und die Veränderungen sind enorm.
Besonders die Künstliche Intelligenz hat eine regelrechte Gehaltsexplosion ausgelöst. Premium-Rollen im Bereich AI/ML erzielen Aufschläge von 60–80 %. Prompt Engineers oder MLOps-Spezialisten mit nur 3–5 Jahren Erfahrung verdienen bereits 40–60 Lakh Rupien im Jahr. Data Scientists mit Erfahrung in Large Language Models erhalten sofort 40 % Gehaltssprünge.
Gleichzeitig zeigt sich ein überraschender Trend: Viele Spitzenkräfte bleiben lieber in Indien. Unternehmen wie Amazon, Microsoft oder JP Morgan zahlen inzwischen Gehälter auf Silicon-Valley-Niveau – direkt in Indien. Damit bieten sie internationale Projektverantwortung ohne Visa-Hürden und Lebensstil-Einschränkungen.
Die Frage lautet heute nicht mehr „Gehe ich ins Ausland?“, sondern: „Bietet mir mein Arbeitgeber internationale Sichtbarkeit, Wettbewerbsgehälter, Work-Life-Balance und Karrierewachstum – und das alles in Indien?“ Besonders Rückkehrer aus den USA treiben diesen Trend, indem sie ihre globale Erfahrung in indische Teams einbringen.
Kurz gesagt: Indische Fachkräfte wollen globale Wirkung mit lokalen Wurzeln. Auch wenn die aktuellen Gehaltssteigerungen nicht ewig anhalten werden, bleibt der Machtwechsel hin zu den Talenten dauerhaft bestehen. Unternehmen, die darauf reagieren, sichern sich einen klaren Vorteil.
Viele deutsche Unternehmen leiden unter einem akuten Mangel an IT-Fachkräften. Warum sind indische Spezialisten so gefragt in Deutschland? Was zieht sie dorthin – und wo liegen die größten Hürden oder Missverständnisse?
Der IT-Fachkräftemangel in Deutschland hat ein kritisches Niveau erreicht – 2024 waren über 137.000 Stellen unbesetzt. Indische Fachkräfte füllen nicht nur Lücken, sondern treiben die digitale Transformation maßgeblich voran.
Deutsche Unternehmen schätzen sie für ihre technische Exzellenz, internationale Perspektive und Erfahrung mit skalierbaren Lösungen für Millionen von Nutzern. Ihre sehr guten Englischkenntnisse und hohe Loyalität machen sie besonders wertvoll.
Für indische Fachkräfte wiederum ist Deutschland attraktiv durch Wettbewerbsgehälter (Einstieg 60.000–90.000 €, Senior-Rollen über 100.000 €), Work-Life-Balance mit 30+ Urlaubstagen und geregelten Arbeitszeiten, umfassende Sozialleistungen und die EU Blue Card als Sprungbrett in den europäischen Arbeitsmarkt.
Die Hürden sind meist eher wahrgenommene als reale: Viele glauben, dass perfektes Deutsch sofort nötig sei – doch in den meisten Tech-Unternehmen dominiert Englisch. Auch Visa-Prozesse sind einfacher geworden, da Firmen verstärkt Unterstützung bieten. Kulturelle Unterschiede wie der direkte Kommunikationsstil sind erlernbar. Worauf Kandidaten achten müssen, sind steuerliche Abzüge, Lebenshaltungskosten sowie die geringere Bedeutung von Startup-Equity im Vergleich zu Indien oder den USA.
Unterm Strich entwickelt sich die deutsch-indische IT-Beziehung von einer reinen Notlösung zur strategischen Partnerschaft. Unternehmen, die in Integration investieren – von Sprachkursen über Familienunterstützung bis hin zu kulturellem Onboarding – sichern sich langfristige Loyalität und Wettbewerbsvorteile.
Wenn Sie einem deutschen Mittelständler nur einen Rat geben könnten, um indische IT-Fachkräfte zu gewinnen und langfristig zu halten – welcher wäre das?
Mein wichtigster Rat lautet: Investieren Sie in Integration, nicht nur in Rekrutierung. Die Einstellung ist nur der Anfang. Firmen, die echte Integrationsmaßnahmen ergreifen, erreichen Bindungsraten von 85 % – gegenüber 40 % bei Unternehmen, die das nicht tun.
Ich empfehle ein 90-Tage-Integrationsprogramm. Vor dem Start sollten Kultur-Buddys zugeteilt, Wohnungs- und Relocation-Hilfe geboten und administrative Dinge wie Bankkonto oder Stadtinformationen geregelt werden. Auch die Familie muss einbezogen werden – etwa durch Unterstützung bei der Jobsuche des Ehepartners oder bei Schulanmeldungen.
In den ersten 30 Tagen sind strukturierte Onboardings wichtig: Einführung in die deutsche Geschäftskultur, Teamdynamiken und Sprachkurse. Ab Tag 31 geht es um Verantwortung: sinnvolle Projektaufgaben, fachliche Integration und soziale Vernetzung, ergänzt durch kulturelle Anerkennung, etwa bei Festen oder Essgewohnheiten.
Die Rechnung ist eindeutig: 5.000–10.000 € Integrationskosten versus 50.000–80.000 € Ersatzkosten. Viel wichtiger ist aber: Wer Integration ernst nimmt, schafft ein Umfeld, in dem indische Fachkräfte nicht nur arbeiten, sondern bleiben, wachsen und zur Innovation beitragen wollen.
Danke für diese tiefgehenden Einblicke.