Mehrere Mitglieder der Gandhi-Nehru-Familie starben unter tragischen Umständen. In Öffentlichkeit wird daraus bisweilen ein medientauglicher mysteriöser „Gandhi-Fluch“ konstruiert. Tatsächlich lassen sich die Todesfälle auf konkrete politische Konflikte, sicherheitsrelevante Entscheidungen und instabile Gewaltlagen in Indien und Südasien zurückführen. Eine kleine Analyse wie historischer Exkurs.

Mahatma Gandhi, Anführer der indischen Unabhängigkeitsbewegung, wurde am 30. Januar 1948 in Neu-Delhi von Nathuram Godse erschossen, einem radikalen Hindu-Nationalisten mit ideologischer Nähe zur Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS). Godse sah in Gandhis Haltung während und nach der Teilung Indiens einen Verrat an hindunationalen Interessen und eine unzulässige Nachgiebigkeit gegenüber der muslimischen Minderheit. Der Mord war eindeutig politisch und religiös motiviert; ein familiärer Zusammenhang bestand nicht.
Fast vier Jahrzehnte später fiel Indira Gandhi, Tochter Jawaharlal Nehrus und damalige Premierministerin Indiens, am 31. Oktober 1984 einem Attentat zweier Sikh-Leibwächter zum Opfer. Auslöser war die von ihr angeordnete „Operation Blue Star“, bei der indische Truppen im Juni 1984 den Goldenen Tempel in Amritsar stürmten, um dort verschanzte militante Sikh-Gruppen zu bekämpfen. Der Angriff auf das höchste Heiligtum der Sikhs löste weitreichende Empörung und Radikalisierung aus. Die Tat war eine gezielte Vergeltungsmaßnahme – religiös wie politisch motiviert. Trotz des identischen Nachnamens bestand keine familiäre Verbindung zu Mahatma Gandhi.
Bereits 1980 hatte Indira Gandhi ihren jüngeren Sohn Sanjay Gandhi verloren. Er kam bei einem Flugzeugabsturz in Neu-Delhi ums Leben, nachdem er während eines riskanten Manövers die Kontrolle über sein Sportflugzeug verloren hatte. Sanjay Gandhi war ein umstrittener politischer Akteur mit erheblichem informellem Einfluss im engsten Machtzirkel seiner Mutter. Offiziell wird von einem Unfall gesprochen; Spekulationen über Sabotage blieben unbelegt.
Auch Rajiv Gandhi, Indiras ältester Sohn und ehemaliger Premierminister, wurde Opfer eines gezielten Attentats. Am 21. Mai 1991 tötete ihn eine Selbstmordattentäterin der tamilischen Separatistenorganisation LTTE im südindischen Sriperumbudur. Hintergrund war seine Entscheidung aus dem Jahr 1987, im Rahmen des Indo–Sri-Lanka-Abkommens indische Truppen (Indian Peace Keeping Force, IPKF) nach Sri Lanka zu entsenden, um die LTTE zu entwaffnen. Die Intervention eskalierte rasch in direkte Kämpfe zwischen IPKF und Separatisten und führte zu zahlreichen zivilen Opfern. Aus Sicht der LTTE galt Rajiv Gandhi seither als persönlicher Feind; das Attentat war eine direkte Vergeltung für diese Politik.
Mit dem Tod Sanjays und Rajivs verlor Indira Gandhi beide Söhne – ein historisch außergewöhnlicher Umstand, keine Frage. Die vielfach kolportierte Vorstellung eines „Gandhi-Fluchs“ jedoch hält einer sachlichen Betrachtung nicht stand: Die einzelnen Todesfälle sind jeweils auf klar identifizierbare politische, religiöse oder persönliche Ursachen zurückzuführen. Was sie verbindet, ist keine Metaphysik, sondern ein strukturelles Risiko politischer Macht in einem hoch polarisierten Umfeld Indiens, in dem Gewalt wiederholt als Mittel der Auseinandersetzung eingesetzt wurde. Der Begriff des „Fluchs“ ersetzt Analyse durch Dramatisierung – und verstellt damit den Blick auf die realen historischen Zusammenhänge.
Quellen:
- Why RSS leaders nursed antipathy towards Mahatma Gandhi – India Today
- New evidence links Godse to the RSS – National Herald
- Gandhi killer Godse was not a RSS man – The New Indian Express
- From Tamil Ally to LTTE Target: The Rajiv Gandhi Assassination Explained – Bhaskar English
- Charge sabotage in death of Gandhi’s son – UPI Archives








