Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Indien und den Vereinigten Staaten stehen erneut im Zeichen handelspolitischer Spannungen. Nachdem Washington im Sommer hohe Strafzölle auf indische Waren verhängt hatte, bemühen sich beide Seiten inzwischen um eine diplomatische Entschärfung. Die Entwicklung verweist auf ein vertrautes Muster: wirtschaftliche Sanktionen als Druckmittel, gefolgt von Verhandlungen über „faire“ Handelsbedingungen.

US-Präsident Donald Trump sprach jüngst davon, man sei „ziemlich nah“ an einem „fairen Handelsabkommen“ mit Indien. Die Zölle, derzeit bei 50 Prozent auf zahlreiche Güter, sollen „zu einem späteren Zeitpunkt“ wieder gesenkt werden. In der Begründung verweist das Weiße Haus auf Indiens frühere Ölimporte aus Russland, die angeblich gegen amerikanische Sanktionsinteressen verstoßen hätten. Wie The Wire berichtet, habe Neu-Delhi den Bezug russischen Öls inzwischen „deutlich reduziert“, woraufhin Trump signalisiert habe, die Strafmaßnahmen allmählich zurückzunehmen.
Hinter den politischen Gesten steht eine spürbare wirtschaftliche Belastung. Nach Angaben des Global Trade Research Initiative, auf die sich die BBC bezieht, sind Indiens Exporte in die Vereinigten Staaten seit Mai um fast 40 Prozent zurückgegangen. Besonders betroffen sind arbeitsintensive Branchen wie Textilien, Schmuck, Maschinenbau und chemische Produkte. Die BBC nennt die Vereinigten Staaten „Indiens am stärksten betroffenen Markt“ seit Beginn der Zollpolitik. Zugleich weitete sich das Handelsbilanzdefizit im September auf den höchsten Stand seit über einem Jahr aus.
Indiens Regierung reagiert bislang mit einer Mischung aus Gelassenheit und Anpassung ambivalent. Premierminister Narendra Modi verweist auf die Stärke der Binnenwirtschaft, die durch Investitionen in Infrastruktur und Konsumwachstum gestützt wird. Analysten der Ratingagentur Moody’s erwarten für die kommenden Jahre weiterhin ein Wirtschaftswachstum von rund 6,5 Prozent. Die Times of India hebt hervor, dass die Diversifizierung der Exportmärkte – etwa in Richtung der Vereinigten Arabischen Emirate und Chinas – kurzfristig dämpfend wirke. Doch, wie The Wire anmerkt, könne diese Resilienz nicht über strukturelle Schwächen hinwegtäuschen: Kleine und mittlere Exporteure, vielfach ohne Zugang zu ausreichendem Kapital, gerieten durch die abrupten Marktverluste unter erheblichen Druck.
Trumps wiederholte Hinweise auf eine baldige Einigung sind daher weniger Ausdruck eines abgeschlossenen Verständigungsprozesses als eines politischen Kalküls. Dass er den neuen US-Botschafter in Neu-Delhi, Sergio Gor, mit der Aufgabe betraute, die bilateralen Beziehungen „zu vertiefen“, zeigt, dass Washington das wirtschaftliche Gewicht Indiens durchaus anerkennt. Gleichwohl bleibt das Verhältnis asymmetrisch: Während die Vereinigten Staaten auf Zugeständnisse im Agrar- und Dienstleistungssektor drängen, verteidigt Indien seine Schutzmechanismen mit Verweis auf Ernährungssicherheit und ländliche Beschäftigung.
Die jüngsten Entwicklungen offenbaren, dass Indiens wirtschaftliche Aufstiegskraft zunehmend von geopolitischen Faktoren abhängt. In einer multipolaren Weltordnung, in der Handelspolitik wieder zum Instrument strategischer Einflussnahme wird, gerät Neu-Delhi zwischen die Interessen der Großmächte. The Wire spricht in diesem Zusammenhang von einer „verdeckten Verwundbarkeit“ der indischen Ökonomie – einem Umstand, den hohe Wachstumsraten allein nicht überdecken können.
Ob es den Regierungen in Washington und Neu-Delhi gelingt, ihre Gegensätze in ein dauerhaft tragfähiges Abkommen zu überführen, bleibt offen. Fest steht, dass Indiens ökonomische Zukunft weniger an kurzfristigen Konjunkturimpulsen als an der Fähigkeit zur strukturellen Selbstbehauptung gemessen werden wird. In diesem Sinne ist der aktuelle Handelskonflikt weniger ein isoliertes Ereignis als eine Bewährungsprobe für die strategische Mündigkeit der indischen Wirtschaftspolitik.
Quellen:
- ‚Pretty Close‘ to a ‚Fair Trade Deal‘ With India, Says Donald Trump (The Wire, 11.11.2025)
- No major impact of Trump tariffs? Moody’s says India to be fastest growing major economy; ‘succeeded in redirecting exports’ (Times of India, 13.11.2025)
- India’s exports to US plunge as Trump’s 50% tariffs bite (BBC, 16.10.2025)








