
Ist der Islam wirklich die „Religion des Bösen“?
Blinder Hass, sture Wut und gewalttätiger Fanatismus – das sind die Bilder, die wir – mal wieder – aus Indien zu sehen bekommen. Sowohl Hindus als auch Moslems flüchten sich in die Verheißungen ihrer radikalen Führer und mobilisieren ihre Glaubensbrüder, um die jeweils „wahre“ Religion gegen den „großen Feind“ zu verteidigen. Der Islam wird – passend zur weltpolitischen Lage – als Ursprung allen Übels angesehen. Afghanistan, Iran, Sudan und fundamentalistische Bewegungen in fast allen sog. islamischen Ländern werden exemplarisch für die Religion an den Pranger gestellt und somit die Theorie des „bösen Islam“ untermauert.
Es besteht kein Zweifel, dass es in fast allen islamischen Ländern enorme Defizite in Bezug auf die Stellung der Frau, Kinder, Bildung, Mit- bzw. Selbstbestimmung und vielen anderen Gebieten gibt. Dies ist in keiner Weise zu entschuldigen. Die Gründe für die jetzige Situation und dem damit verbundenen äußeren Bild des Islams sind vielfältig: das Zeitalter der Aufklärung, die die Individualisierung und vor allem auch Politisierung des Lebens jedes einzelnen Menschen mit sich brachte, hat in der islamischen Welt nicht stattgefunden. Die Entwicklung der Länder gleicht einem Zeitsprung, da sie quasi vom Mittelalter in die Neuzeit katapultiert wurden, ohne die verschiedenen Phasen der Aufklärung zu durchlaufen. Diese geistige Entwicklung der Bevökerung ist nunmehr unbedingt zwingend nachzuholen, was wiederum einen optimalen Zugang zu qualifizierter Bildung bedarf. Bildung und Wissen, die Anleitung zu Selbständigem und freien Denken ist bekanntermaßen der beste Schutz gegen blinden Fanatismus.
Der Islam ist keine Religion, die an ein Land oder an eine ethnische Zugehörigkeit gebunden ist. Ein genaues Hinsehen wird jedoch zeigen, dass sehr viele verschiedene Lebensweisen des Islams je nach kultureller Zugehörigkeit praktiziert werden. Im Laufe der Zeit sind viele kulturelle und ethnische Traditionen in die Praxis des Islams eingeflossen und verzerren so das Bild des „wahren Islams“ nicht nur in den Augen der Außenstehenden, sondern auch im jeweiligen Glauben der Muslime selbst, die eben jene Traditionen als Teil der Religion ansehen.
Der heute in weiten Teilen der islamischen Welt praktizierte Islam ist nicht der eigentliche, reine und wahre Islam. Es ist ein Gemisch aus Religion und anderen Sitten, Gebräuchen, Riten und Traditionen. Geht man von der Lehre des Islams aus, so wird man feststellen, dass diese Weltreligion alles andere ist als fanatisch, intolerant und modernisierungsverneinend. Islam „an sich“ ist eine sehr friedvolle und auf Harmonie und Gemeinsamkeit bedachte Religion. Die Tatsache, dass diese Religion leider viel zu oft falsch interpretiert, missbraucht und verfremdet wird ändert jedoch nichts an den „an sich“ guten Eigenschaften des Islams.
Zwei Beispiele: ein Messer ist an sich sehr nützlich, jedoch ist der Gebrauch dieses Messers als Waffe schlecht und verwerflich, was allerdings nichts an den eigentlichen guten Eigenschaften des Messers ändert. Es ist also nicht das Messer, was schlecht bzw. gefährlich ist, sondern eher der Benutzer und dessen Absichten. Das Christentum „an sich“ war vor 600 Jahren nicht besser oder schlechter als heute. Es waren die Menschen, die es missbrauchten um Kreuzzüge zu führen und somit das damit verbundene Leid über die Welt brachten. auch hier ist es nicht die Religion, die zu verteufeln ist, sondern die Instrumentalisierung dieser zu widrigen Zwecken.
Die heutige islamische Welt braucht Modernisierung. Modernisierung heißt jedoch nicht Aufweichen von Ge- und Verboten, da die Einhaltung dieser nicht mehr „in“ oder zeitgemäß ist. Modernisierung bedeutet in diesem Fall eine Individualisierung und Aufklärung, die nicht auf Kosten der moralischen Werte und Normen geht und nicht das Individuum als höchste Instanz an Stelle Gottes einsetzt (siehe auch Artikel „Individualismus auf dem Vormarsch“) . Nach dieser Modernisierung kann ein neuer, weltoffener, in sich gefestigter, aufrichtiger und selbstbewusster Islam die Achtung anderer erfahren, die er heute für sich einfordert.