Der Absturz eines Langstreckenflugzeugs vom Typ Boeing 787 „Dreamliner“ nahe der Stadt Ahmedabad gilt als die schwerste Flugzeugkatastrophe der vergangenen zehn Jahre. Neben der Untersuchung der technischen Ursachen rücken nun auch die wirtschaftlichen Folgen für Indiens Luftfahrtsektor und das nationale Wachstumsnarrativ in den Fokus.
Wachstumskurs der indischen Luftfahrt gebremst
Air India hatte sich in den letzten Jahren zu einer der zentralen Akteure innerhalb des ehrgeizigen Infrastruktur- und Modernisierungsprogramms der indischen Regierung entwickelt. Als Mitglied der Star Alliance und seit der Übernahme durch die Tata Group verfolgte die nationale Fluggesellschaft ambitionierte Wachstumspläne. Im Passagier- und vor allem im Luftfrachtbereich war ein deutlicher Ausbau der Flottenkapazitäten und Netzabdeckung vorgesehen.
Noch im Juni 2025 erklärte Air-India-CEO Campbell Wilson in einem Interview, dass das Unternehmen auf dem besten Weg sei, seine Verluste zu reduzieren und als „Weltklasse-Airline“ international zu agieren. Die Airline, ebenso wie die private Konkurrentin IndiGo, hatte sich jährliche Wachstumsraten von über 20 Prozent zum Ziel gesetzt. Insgesamt rechneten beide Unternehmen in den kommenden zehn Jahren mit einem Bedarf von über 1.400 neuen Flugzeugen – ein Projekt von internationaler wirtschaftlicher Tragweite.
Indiens globale Position: Luftfahrt als strategischer Faktor
Indien zählt inzwischen zu den weltweit führenden Volkswirtschaften. Nach Berechnungen nationaler Wirtschaftsinstitute liegt das Land 2025 auf Platz vier hinter den USA, China und Deutschland. Die Prognose der indischen Regierung, bereits 2027 zur drittgrößten Volkswirtschaft aufzusteigen, wurde auch durch den beschleunigten Ausbau der Verkehrs- und Handelsinfrastruktur untermauert – mit der Luftfahrt als zentralem Pfeiler.
Ein modernes Luftfrachtökosystem sollte dazu beitragen, Indien als logistischen Knotenpunkt Asiens zu etablieren. Die Fluggesellschaft Air India spielte dabei eine zentrale Rolle, insbesondere im internationalen Passagierverkehr sowie im Interkontinentalfrachtverkehr.
Technische und regulatorische Fragen nach dem Unglück
Nach dem Absturz wurden verschiedene technische Faktoren als mögliche Unfallursachen genannt. Medienberichten zufolge stehen derzeit unter anderem Unregelmäßigkeiten bei Triebwerksschub, Landeklappenfunktion sowie dem Fahrwerk im Zentrum der Untersuchungen. Laut einem Reuters-Bericht wird auch die Frage geprüft, warum das Fahrwerk kurz nach dem Abheben wieder ausfuhr.
Mark Martin, Luftfahrtexperte und Gründer von Martin Consulting, äußerte gegenüber Bloomberg Zweifel an den operativen Prioritäten von Air India. Die Airline habe sich stark auf strategische Expansion konzentriert, während technische Wartungsfragen möglicherweise vernachlässigt wurden. Eine Stellungnahme der Fluggesellschaft zu diesen Vorwürfen steht noch aus.
Folgen für Vertrauen und Marktstrategie
Der langfristige Schaden für Air India – sowohl finanziell als auch reputativ – lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschätzen. Branchenanalysten gehen davon aus, dass der Wiederaufbau des Kundenvertrauens entscheidend dafür sein wird, ob die Airline ihre globale Expansionsstrategie fortsetzen kann.
Auch für die gesamte indische Luftfahrtbranche stellt sich die Frage, ob Sicherheitsstandards, Wartungskapazitäten und regulatorische Aufsicht dem rasant gewachsenen Sektor ausreichend gerecht werden. Die kommenden Wochen dürften Aufschluss darüber geben, ob strukturelle Änderungen eingeleitet werden, um das Ziel einer international wettbewerbsfähigen Luftfahrt langfristig zu sichern.
