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Sa, 12. Oktober, 2024
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Indiens Bruch mit Gandhi

Guha, zehn Jahre nach dem Attentat geboren, wuchs in einer Familie auf, die Gandhi zutiefst verehrte und schildert zunächst seine eigene Erfahrung in einem Umfeld, in dem Gandhi als „Vater der Nation“ betrachtet wurde. Gandhis Philosophie der Gewaltlosigkeit und des religiösen Pluralismus war damals ein zentraler Bestandteil des indischen Selbstverständnisses und wurde von vielen als Grundpfeiler der nationalen Identität und Unabhängigkeit angesehen.

Guha beschreibt, wie Gandhi für seine Generation und für die indische Gesellschaft als Ganzes eine überragende Figur war. Seine Bemühungen, Indien durch gewaltlosen Widerstand gegen die britische Kolonialherrschaft zu befreien, und sein unermüdlicher Einsatz für religiöse Harmonie galten als unverzichtbare Bestandteile der jungen indischen Nation. Gandhi wurde verehrt, nicht nur wegen seines politischen Erbes, sondern auch wegen seiner moralischen Überzeugungen und seines Engagements für die Einheit und Vielfalt Indiens.

Doch Guha führt weiter aus, dass bereits in den 1980er Jahren erste kritische Stimmen gegen Gandhi laut wurden. Vor allem marxistische Intellektuelle, denen Guha während seiner akademischen Laufbahn begegnete, begannen, Gandhi scharf zu kritisieren. Sie sahen in ihm einen Verbündeten der britischen Kolonialmacht und der indischen Kapitalistenklasse und argumentierten, dass seine Philosophie der Gewaltlosigkeit ein geschicktes Mittel war, um die indischen Massen von revolutionären Ideen und einem gewaltsamen Widerstand abzuhalten. Für sie war Gandhi nicht der Befreier, sondern ein Hindernis auf dem Weg zu einer radikaleren, revolutionären Veränderung der Gesellschaft.

Trotz dieser Kritik blieb Guha überzeugt, dass Gandhis Engagement für Gewaltlosigkeit und religiöse Toleranz aus tiefster Überzeugung und einer tiefen ethischen Verpflichtung heraus entstanden war. Er argumentierte, dass Gandhis Ablehnung von Gewalt auf einer fundamentalen Abneigung gegenüber dem Töten beruhte und dass seine Bemühungen, die religiöse Vielfalt in Indien zu bewahren, der Schlüssel zu einer friedlichen Koexistenz in der jungen Nation waren.

Heute, so führt Guha aus, hat sich die Natur der Angriffe auf Gandhi jedoch grundlegend verändert. In den 2020er Jahren kommen die schärfsten Angriffe auf sein Erbe von der Hindu-Rechten, die seit 2014 unter der Führung der Bharatiya Janata Party (BJP) in Indien an der Macht ist. Diese Bewegung, die eng mit der Rashtriya Swayamsewak Sangh (RSS) verbunden ist, lehnt Gandhis Ideen der Gewaltlosigkeit und des religiösen Pluralismus entschieden ab. Der RSS, der eine hinduistische Theokratie in Indien anstrebt, hatte Gandhi nie akzeptiert, weil er sich unermüdlich für den Schutz der muslimischen Minderheit und die Förderung der religiösen Harmonie eingesetzt hatte. Diese Bemühungen, so Guha, führten letztlich zu seiner Ermordung durch Nathuram Godse, ein Mitglied des RSS.

Die gegenwärtige Regierung unter Narendra Modi, der selbst aus den Reihen des RSS stammt, habe sich laut Guha zum Ziel gesetzt, die Geschichte Indiens umzuschreiben. Sie versucht, die Rolle muslimischer Herrscher in Indien negativ darzustellen und Gandhi als Schwächling und Verräter zu brandmarken, der der hinduistischen Mehrheit geschadet habe. Modi, so zeigt Guha auf, äußert sich ambivalent über Gandhi: Einerseits lobt er ihn international, um sein eigenes Ansehen zu fördern, andererseits ignoriert er jedoch bewusst die zentralen Ideale Gandhis, insbesondere seine Vision einer Nation, die allen Religionen gleichermaßen gehört.

Guha zeichnet ein Bild davon, wie Gandhi, der einst als Retter und Begründer des modernen Indien galt, nun zunehmend als Hindernis und Verräter angesehen wird. Diese Entwicklung stellt nicht nur eine Revision der Geschichte dar, sondern eine grundlegende Ablehnung Gandhis und seiner Ideale in der heutigen indischen Gesellschaft. Auch die Kongresspartei, die sich lange als Erbin Gandhis inszenierte, trägt zu dieser Entwicklung bei, indem sie seine Ideale in der Praxis verraten und sich stattdessen in Korruption und Machtmissbrauch verstrickt habe.

Abschließend warnt Guha eindringlich davor, dass Indien sehr wohl Gandhis Ideen dringend benötige, um den aktuellen sozialen, ökologischen und politischen Herausforderungen zu begegnen. Trotz der wachsenden Feindseligkeit gegenüber Gandhi in Indien könnten seine Ideale jedoch global weiterhin Anerkennung und Bedeutung finden, ähnlich wie die Lehren Buddhas, die in seiner Heimat einst ebenfalls vernachlässigt wurden, aber weltweit Anklang fanden. Guha sieht in dieser globalen Anerkennung einen Trost, gleichzeitig aber auch eine tragische Ironie, dass Indien, das Land, das Gandhi einst führte, seine Botschaft und sein Erbe zunehmend verwerfe.

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Foto: (c) Vitor Oliveira, CC BY-SA 2.0

1 Kommentar

  1. Ich halte das für eine absolute Respektlosigkeit demjenigen gegenüber, der maßgeblich die Freiheit von der britischen Herrschaft herbeigeführt hat! Aber es ist interessant, daß die Kommunisten die ersten waren, die Gandhi öffentlich kritisiert haben sollen. Daß die RSS der Drahtzieher für die Ermordung war u.a. aufgrund des sekulären Gedankens Gandhis, scheint mir eine plausible Erklärung.

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